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Streifzüge durch Schwaben 7: Gärten für eine humane Zukunft

Dieter Gaißmayer und das Team des Museums der Gartenkultur

Projekt: Streifzüge durch Schwaben
Staudengärtner und Stiftungsvorstand Dieter Gaissmayer lacht in die Kamera beim Besuch von HeimatUnternehmen auf der Illertisser Jungviehweide
„Was mir immer ganz wichtig war, ist, glaubwürdig zu sein, authentisch zu sein.“ Dieter Gaissmayer und das Team des Museum der Gartenkultur bringen wertvolle Ideen in den ländlichen Raum ein.
© Daniel Delang/Initiative HeimatUnternehmen

Stauden im Rhythmus des Lebens
Die Staudengärtnerei Gaißmayer ist eine Institution. Sie hat den Anbau mit Mutterpflanzen, Vertrieb auch über Online-Versand und vor allem die Wertschätzung von biologischen Stauden in ihrer Vielfalt wahrnehmbar aufgebaut und erweitert. Von anregenden Farbkompositionen über essbare oder trockenheitsliebende Stauden bis hin zu Schmückendem für die Letzte Ruhestätte – für alle Lebenslagen ergeben die über 2.500 Arten und Sorten des Unternehmens auf der Illertisser Jungviehweide ein passendes Angebot, ökologisch und wettererprobt.

Stauden, das ist das typische, sind mehrjährig, ziehen sich aber im Winter ins Erdreich zurück. Zurückgezogen hat sich auch Dieter Gaißmayer aus der aktiven Geschäftsführung der Gärtnerei. Ein anderes Lebensprojekt ist nun in den Fokus gerückt: Das Museum für Gartenkultur. Darüber wollten wir mit ihm sprechen, haben unsere Streifzüge auch Richtung Ulm gelenkt – und wurden mit einem langen wie spannenden Gespräch über Pflanzen und ihre Menschen belohnt.

Verschmitzt und tiefgründig: Dieter Gaißmayer schiebt an und inspiriert
1980 hat der gelernte Drogist, studierte Gartenbauer und Illertaler Bub Gaißmayer mit einem Kameraden den Betrieb auf der Jungviehweide, ein weites wie sanft eingerahmtes Plateau, begonnen. Geprägt hat ihn eine freie Kindheit mit viel Kontakt zur Natur und der frühen Notwendigkeit, sich selbständig zurechtzufinden, und sei es nur der Schulweg im Morgengrauen durch das große Industrieareal des Ulmer Ochsenbräu mit seinem typischen Brauereigeruch. Ebenso eindrücklich waren für ihn die Freunde und Spielkameraden der Kindheit, die ihn erleben ließen, dass es gut ist, sich zu verbünden.

Ein Macher, ein Wegfinder, ein Teamer ist er geblieben. Dass er als erster Pächter seinen Namen für den Betrieb gegeben hat, soll nicht verbergen, dass er die Gärtnerei und auch das Museum als Gemeinschaftsprojekte sieht. Trotzdem ist er als Mensch auch jemand, an dem sich andere orientieren und verankern, und der mit einem enormen Wissen und der Ermöglichung von Vielfalt und Beständigkeit ein Pflanzenreich ausgeprägt hat. Dessen Verfassung ist eine zukunftsfähige Gartenkultur.

Das Museum der Gartenkultur will Gärten für die Zukunft

Auch darum geht es beim Museum für Gartenkultur. Seit 2013 ist es als Ort dazu da, altes Wissen, fast vergessene Pflanzenschätze und eine möglichst große Sortenvielfalt sowie frühere Gartengeräte und Bücher rund um Gartenkultur zu sammeln, zu pflegen und weiterzugeben. Damit Menschen auch in Zukunft mit Gärten wirksam handeln können.
Mit Romantik, weißen Blüten und bändergeschmückten Strohhüten in einem Hortus conclusus hat dies weniger zu tun. Vielmehr orientieren sich die Einrichtungen Stiftung und Verein an einer gesellschaftlichen Notwendigkeit. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es ein ganz wichtiges, sehr zukunftsträchtiges Thema ist,“ erläutert Dieter Gaißmayer, „dass die Menschen zu Garten, zu Pflanzen, zur Natur in Beziehung stehen.“
Entgegen beispielsweise dem hochgetriebenen Trend zur Digitalität, der augenfällig wird im sensiblen Schulalter: IT-Unterricht ja, Schulgärten nein. „Eine humane Gesellschaft kann in meinen Augen in Zukunft nur bestehen, wenn sie einen Bezug zu Pflanzen, zu Gärten hat.“

Förderer der Gartenkultur in vielerlei Hinsicht
Um dieses Anliegen zu verbreiten, gab es schon vor dem Museum den Verein Förderer der Gartenkultur e.V.. Er spielt auch heute noch eine wichtige Rolle spielt, denn über den Verein ist es möglich, dass Menschen mithelfen können. Mit viel ehrenamtlichem Einsatz wird seit 2000 das Motto des Vereins „gartenkultur mitmachen“ umgesetzt.
Viele Hände und begeisterte Garten- und Pflanzenfreunde helfen beim jährlichen Betrieb, den Festen und Themenmärkten wie auch bei Bildungsprogrammen und Vermittlungsangeboten mit. „Entsteint euch!“ war etwa eine stoßkräftige Aktion, mit der der Verein erfolgreich dazu angeregt hatte, weniger auf Steine und mehr auf Pflanzen in den Gärten zu setzen.

Worin Dieter Gaißmayer die Aufgabe von Gartengestaltung sieht, ist klar, wenn er sich und sein Umfeld beschreibt: „Wir sind auch Kulturschaffende, jeden Tag schaffen wir Kultur. Das ist ein integraler Bestandteil der Menschheit, gewissermaßen schon seit Adam und Eva.“ Über die Gartengestaltung wie sie vielfach in Neubaugebieten anzutreffen ist, kann Gaißmayer nur den Kopf schütteln: „Diese Schotterwüsten, das darf eigentlich nicht sein, gesellschaftlich betrachtet.“

Die Stiftung Gartenkultur als Möglichmacher
Aber was ist denn eigentlich ein Garten, Herr Gaißmayer? „Zunächst einmal Sukzession.“, also der Austausch von Arten innerhalb eines bestimmten Gebiets. Demnach auch eine große Chance und Gestaltungsaufgabe, die im Idealfall ein bewusstes Vorgehen mit sich bringt. Mit Gartenkultur stemme sich der Mensch auch gegen die Natur, die typischen Bewuchs – früher wahrscheinlich ein Hain mit Buchen und Hollunder, heute im Klimawandel einer mit Robinien – anstrebe. „Gartenkultur ist ein menschengelenkter Umgang mit der Natur.“

Seine Gärtnerzunft sieht er entsprechend ihres Könnens in einer Verpflichtung, aber auch in einer Vorbildfunktion. Mithilfe einer Stiftung, der Stiftung Gartenkultur, will man in Illertissen beispielhaft entsprechend zeigen, wie ein freudiger Umgang mit der Natur gelingen kann, ein positiver. Auch wenn die Politik viel mehr ermöglichen sollte, so sieht es Dieter Gaißmayer, so wollen sie doch im Kleinen etwas vermitteln, nämlich Wissen über und Freude an Gärten.

Seit 2010 ist die Stiftung Träger des Museums der Gartenkultur mit Sammlungen, Versuchsgärtnerei sowie innen und außen liegenden Ausstellungen und Schaugärten. Ebenfalls im Ehrenamt und gemeinnützig. Trotzdem wird es trotz der hohen Attraktivität des Museums und seines Cafés schwieriger. Denn gibt es auch hier ein Nachwuchsproblem? „Zweifellos.“, sagt Dieter Gaißmayer, kurz und knapp.

Wo sind Ressourcen für die große Bildungsaufgabe?
Die große Aufgabe, Freude an Gärten zu wecken und Lust zu machen, selbst in tätige Beziehung zu Natur zu treten, ist ebenfalls keine, für die groß öffentliche Mittel vorgesehen sind. Obwohl sie eine gewaltige Chance ist für unsere Gesellschaft, die seit zwei Generationen von Gärten getrennt lebt, wo durch „Green Blindness“ die Pflanze zur Staffage und durch Schotterwüsten unsere Lebensgrundlage, der Boden mit seinen Millionen von Kleinstlebewesen, zum toten Träger von „Zierkies“ wird.

Für das Museum kommt erschwerend hinzu, dass es ein nicht-staatliches Privatunternehmen ist. Es bekommt also keine Gelder für den laufenden Betrieb. Die aktuelle Jubiläumsausstellung „Was?! Aus Pflanzen“ über die überraschenden und erstaunlichen Fähigkeiten von Pflanzen und ihre Bedeutung für eine nicht-fossile Zukunft, war in jeder Hinsicht ein Schwergewicht. Wie bei vielen musealen Betrieben, gerade im ländlichen Raum, klaffen die ideelle Tragweite und der finanzielle Ertrag weit auseinander und die Projektform als zeitlich begrenzte Maßnahme macht Kontinuität oft schwer. Trotzdem ist es wichtig, Bildungs- und Begegnungsangebote aufrecht zu erhalten.

Auch die Stiftungsvorstandschaft hat noch viele Pläne und Ideen: Integrativ mit Geflüchteten würden sie gerne arbeiten, auch zusammen mit einem landwirtschaftlichen Bioland-Betrieb, den bestehenden Waldkindergarten stärken, noch mehr ein Lern- und Praxisort werden. Dieter Gaißmayer weiß, dass viele Pflanzen für die menschliche und planetare Gesundheit in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Etwa der Hopfen in der Krebstherapie.

Zitronenspaghetti und Betriebsführung für ein schwäbisches Dolce Vita

Beim Mittagessen mit fabelhaften Zitronen-Kräuter-Spaghetti aus Kerstin Willers Küche des Museumscafé, hören wir, dass das Museum dringend jemanden sucht, der mit Dieter Gaißmayer und den anderen Verantwortlichen die Geschäfte führt. So wie sich die Gastronomie im Kaffeehaus von der weitgereisten wie heimatverbundenen Genusshandwerkerin Willer auf hohem Niveau professionalisiert hat, soll ein oder eine Geschäftsführer(in) das Museum in die Zukunft führen, ohne die aktuelle Leidenschaft und Authentizität zu verlieren.
Eine Gratwanderung ist es, die ehrenamtlichen Einsatz von einer kontinuierlichen Betriebsleitung trennt. Denn wenn aus Leidenschaft in der Freizeit eine zeitliche Pflicht wird, geht viel Feuer verloren. Dies zu erkennen, war sicher ein wichtiger Schritt in der Entwicklung von Stiftung und Museum.

Nach einem beeindruckenden Rundgang durch die Ausstellung und die verschiedenen Themengärten der Außenanlagen des Museums suchen wir noch nach einer zweiten Stimme vor Ort. Aber was soll man als Teammitglied auch sagen, wenn man unverfroren nach dem Dienstherrn gefragt wird? Doch es ist der Dame, die heute im Museum Gäste-Ansprechpartnerin anzumerken, dass sie eher aus Ehrfurcht nach Worten sucht als aus Zurückhaltung.
Sie sei lange daheim gewesen und allein nach dem Tod des Partners, der private Garten sei aber schon seit vielen Jahren eine wichtige Quelle der Freude. Wenn sie jetzt im Museum mithelfe, erläutert sie uns, während sie Saatgut auslöst, sei es für sie eine schöne Aufgabe und sie unterstütze das Anliegen des Museums, die Vielfalt der Gartenkultur zu bewahren und verbreiten. Dieter Gaißmayer wisse so viel und sei unermüdlich, weiterzuhelfen

Hierin liegt wohl auch ein wesentlicher Kern des Unternehmens. Wie in einem Garten ein lebendiges Gartenbild entsteht, wenn unterschiedliche Wuchshöhen, Blatt- und Blütenstrukturen wie natürlich auch Farben und Düfte zusammenwirken, braucht es auch in Verein, Stiftung und Museum die Vielfalt. Leitpflanzen und Begleiter, die sich gegenseitig unterstützen.
Denn das Potenzial für eine lebendige, sprossende Zukunft in Form von Menschen, Pflanzen, Wissen und Ideen ist auf der Jungviehweide gegeben.

Die Pflanze kann es uns lehren
Unser Stopp mitten in den berauschenden Stauden auf unserem Streifzug durch Schwaben endet. Fotograf Daniel Delang und ich haben eine Menge an Bildeindrücken zu verarbeiten, die sich auch in den Fotos widerspiegelt. Nehmen wir den sinnierenden Philosophen Dieter Gaißmayer auf seiner Terrasse am Teich? Den herzlich lachenden? Den, der durch die wundervolle Bepflanzung schreitet oder der sich doch im Schilf versteckt? Unser Lieblingsbilder sind die, die die kleinen Szenen zeigen, die aber so persönlich und typisch sind: Dieter Gaißmayer trifft überraschend und unter großem Hallo die Gärtnerei-Belegschaft im Mittagspausen-Schattenplätzchen,  Dieter Gaißmayer quietscht auf einem Gras, begeistert, Geduld erfordernd und stur - bis es klappt.
Wie recht hatte doch mal wieder Schillers Fritz, dessen Schwaben wir heute so nah sind: Suchst du das Höchste, das Größte, die Pflanze kann es dich lehren.

Kontakt
Museum der Gartenkultur
Jungviehweide 1
89527 Illertissen
Tel. 07303-9524727100
kontakt@museum-der-gartenkultur.de
https://www.museum-der-gartenkultur.de

Wer unserem Streifzug Günz-Illertal-Runde folgt, kann sich vielfach gestärkt nach dem Museum der Gartenkultur über den Illerradweg flussaufwärts nach Illerbeuren führen lassen. Übernachten wäre dort auch kein Problem. Warum? Seht selbst in der nächsten Folge von Streifzüge durch Schwaben ...

Dieser Artikel ist Teil der HeimatUnternehmen-Reportageserie Streifzüge durch Schwaben, die hier insgesamt zu finden sind.
Texte: Veronika Heilmannseder, Fotos: Daniel Delang

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