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Streifzüge durch Schwaben 10: Tausche Karriere gegen Karotten

Wie Charlotte Cressy und Martin Wörishofer eine Gemüserei aufbauen

Projekt: Streifzüge durch Schwaben
Die beiden Unternehmer von Hand und Erde schauen in die Kamera
Martin Wörishofer und Charlotte Cressy von der Hand & Erde Bio-Gemüserei
© Daniel Delang/Initiative HeimatUnternehmen

Back to the Roots: Wille zur Vielfalt in einer „Gemüserei“
Fotograf Daniel Delang werde ich während unseres Reportagebesuchs für die Streifzüge durch Schwaben kaum zu sehen bekommen. Bei dieser Fülle an Gemüsen und Kräuter, die im frühen Morgenlicht von Insekten umschwärmt sind, explodieren förmlich auch die Fotomotive und binden ihn, wie damit auch die beiden Hauptdarsteller Martin und Charlotte. Spätestens bei einer Tasse Kaffee im neuen, gerade frisch gebauten Arbeitsraum kommen wir aber wieder alle zusammen, um ihre Geschichte zu hören. Denn die ist eigentlich eine klassische Aussteigergeschichte zurück zur heimatlichen Erde.

Die beiden hatten gute Jobs in der global wirtschaftenden Bio- und Fair-Trade-Branche im Rheinland, als sie die Sehnsucht nach einer handfesten Tätigkeit mit einer konkreten Ergebnisentwicklung packte. Zuvor hatten sie weltweit praktisch in der Landwirtschaft gearbeitet.
Nun kam der Wunsch, als Familie wieder näher bei ihren eigenen Ursprüngen zu leben. Es wurden dann nicht Charlottes französische Wurzeln, die sie anzogen, sondern sie gingen wieder in Martins Heimat im Süden Bayerns. Hier zwischen Lech und Ammersee bauten sie eine Gemüsegärtnerei - eine „Gemüserei“ - auf, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Die Produktion guter Gemüse beginnt im Kreislauf

Dabei ist dies eigentlich genau verkehrt herum ausgedrückt. Zwar ernährt die Gärtnerei inzwischen sie, mehrere Mitarbeitende und viele begeisterte Kundinnen und Kunden, aber ihr grundlegender Ansatz ist, bei ihrer Arbeit die Erde, den Boden und das umgebende Ökosystem zu nähren.
Der Aufbau von funktionierenden Ökokreisläufen in und um die Felder ihres Betriebs ist eine wesentliche Komponente bei ihrem täglichen Tun.

Gesunde Kleinst- und Kleinlebewesen stützen das Pflanzenwachstum und halten den möglichst wenig bearbeiteten Boden fruchtbar und erosionsarm: „Der gesunde Boden ist das eine. Aber das allein reicht nicht. Es braucht auch die Insekten, die Vögel, das Drumherum. Man muss das Ganze sehen, das ist extrem wichtig“, erläutert Martin Wörishofer und zeigt auf die von Obstbäumen umrandeten Flächen. „Wir bekommen das hier ja von der Natur zur Verfügung gestellt, diesen fruchtbaren Boden, den wir übernehmen haben dürfen. Den müssen wir fördern, wie auch die ganze Artenvielfalt. Wir können nur langfristig nachhaltig arbeiten, wenn wir es jeden Tag richtig machen.“ Wie zum Beweis ringelt sich auch gleich ein Regenwurm zwischen feinen Wurzeln, als wir probehalber eine Erdscholle ausheben.

Clever pflanzen, nicht größer
Ein weiterer Faktor ist, den begrenzten Raum mit einer cleveren Bepflanzung bestmöglich auszunutzen. Dies kann in engen Reihen erfolgen, aber auch in der bewussten Pflanzenauswahl nach- und nebeneinander. Die Idee dieses Prinzips Marktgarten (Market Gardening, SPIN oder nach dem Vorbild von La ferme du bec Hellouin in Frankreich) erfährt gerade weltweit Zulauf als kleinbäuerliche Lösung, im Gegensatz zum landwirtschaftlichen Druck des „wachse oder weiche“. Charlotte sagt zu ihrer damaligen Lebensentscheidung: „Wir haben gehört: doch, wenn Du Dich klein und smart machst, schaffst Du es. Also okay, probieren wir es.“

Vertrieb nach Wochenmarktprinzip: saisonal, direkt, frisch
Die frischen Gartengemüse und Kräuter verkauft Hand & Erde auf zwei Wochenmärkten in Windach und in München, gezielt an Restaurants und den örtlichen Metzger. Das gehört zum Prinzip dazu. Auch der Kontakt mit den Kundinnen und Kunden, vom Sternekoch bis zum Wochenmarktnormalo, ist ihnen auch so sehr wichtig. Und spiegelt sich auch wider: „Ich mag ihr frisches, knackiges und gut schmeckendes Gemüse. Und oben drauf gibt's beste Beratung und ein nettes Gespräch," sagt eine Kundin am Münchner Maria-Hilf-Platz, wo samstäglich der Hand und Erde-Marktstand steht. Dass es besser schmecke, wenn man weiß, wo es herkommt, versteht sich fast schon von selbst. Aber dann ist doch eine weitere Komponente wesentlich: „Vor allem schätze ich den Aufwand, den sie leisten. Weil reich wird man da ja wohl nicht, aber sie tun etwas Gutes für die Umwelt, erhalten die Marktkultur und ermöglichen, gutes, gesundes und regionales Essen.“

Was hilft, wenn man von Null an mit einer Idee anfängt?
Viel kräftezehrende und ausdauernde Arbeit haben sie die letzten sieben Jahre in ihren Betrieb gesteckt. Auf Urlaub verzichtet, sich mit Hagel und Genehmigungen rumgeschlagen, bei Wind und Wetter die Hände in die Erde gesteckt. So konnten sie sich ihre „Gemüserei“ und eine eigene Familie aufbauen: „Als Traumleben will ich es nicht verkaufen, weil es ist echt harte Arbeit bei wenig Geld. Aber wir sind viel mit den Kindern zusammen, und auch zu zweit. Außerdem wird es nie langweilig. Man muss oft den Kopf anstrengen.“

Unternehmerisch ist es auch bei Martin und Charlotte so, dass sie ihr Vorwissen aus anderen beruflichen Tätigkeiten als Richtschnur einbringen können. Beide haben betriebs- und agrarwirtschaftliche Berufsabschlüsse und viel Erfahrung in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion unterschiedlicher Länder, von Ägypten über Südafrika bis Ecuador und die USA. Dies half, den jungen Betrieb aufzubauen und Wissen zu integrieren. Charlotte: „Ich verstehe, dass es einfacher ist und notwendig war, mit Hilfe von Chemie Ertrag zu generieren, aber wir wissen, dass die Chemielösung auch nicht die richtige Lösung ist. Also müssen wir andere Lösungen suchen.“
Martin kennt beispielsweise Landwirtschaft aus der Agrarzulieferersicht wie aus der Sicht eines Kompostberaters, der unterstützt, sinnvolle Stoffkreisläufe zu schließen. Und so verhindert, dass wertvolle organische Masse auf dem Müll landet. Trotzdem muss die Theorie in der Praxis immer weiterentwickelt werden: „Martin und Charlotte sind ungeheuer ausprobierfreudig, haben viel Energie“, - heißt es in der Gärtnerei. Dass ihnen Felder zur langfristigen Pacht ungefragt angeboten werden, bestätigt, dass ihre Form des Wirtschaftens auch unter den Berufskollegen gute Resonanz hervorruft.

Gemeinsam Wissen und Werte teilen
Ein weiterer Gelingensfaktor, den sie selbst thematisieren und der auch aus dem Team heraus angesprochen wird, ist einer, den man wohl als Führungsqualität bezeichnen kann. Die Antwort auf die Frage, was ihnen am wichtigsten bei Hand und Erde ist, lautet: Die Mitarbeiter. Das gemeinsame Essen.

Und was sagt vice versa der fleißige Mann, der gerade die Erntekisten füllt, zu den Besonderheiten in der Gärtnerei? „Martin und Charlotte sind den Menschen zugewandt. Nicht nur den Zahlen.“ Er ist auf Empfehlung eines Kollegen hergekommen, der gute Ruf eilt dem Betrieb voraus. Das Arbeitsteam schweißt sich zusammen, wenn eine morgendliche Kaffeepause gemeinsam genossen, mittags extra warm gekocht und abends der Abschied mit Handschlag vollzogen wird. „Sie schauen, dass es uns als Mitarbeitenden gut geht.“ Das Ökosystem „Gemüserei“ bezieht also in mehrerer Hinsicht Hand und Erde ein.

Ohnehin sind Charlotte und Martin in dieser Beziehung völlig klar: „Das sind nicht nur wir. Es ist echt eine kleine Society um uns herum. Und das ist so wichtig, wenn Du so etwas machst, dass Du nicht alles alleine machst. Dass Du Leute hast, die von manchem mehr wissen, und Du zusammen mit ihnen arbeitest. Nur so funktioniert es.“ Der Wissenstransfer ist eine entscheidende Komponente, vom Gewächshausbau bis zu Standortfragen, das soziale Netz für die Familie und den Betrieb eine andere.

Wo geht es hin für den Betrieb?
Größer werden wollen sie nicht, eher fast kleiner. Aber das Prinzip des kleinen, agilen Gärtnerns, das sie nun seit über sieben Jahren erfolgreich anwenden, möchten sie gerne weitergeben. Am liebsten mit jungen Leuten, die bei ihnen lernen können, sich selbst einen Marktgarten aufzubauen.
Charlotte findet, dass es mehr solche Betriebe wie den ihren geben sollte. „Ich habe keine Angst, dass neben uns ein anderer so etwas macht. Wir sind jede Woche ausverkauft, denn die Leute verstehen, warum es ein bisschen mehr kostet als in einem großen Supermarkt. Die Qualität ist nicht die gleiche. Es schmeckt anders, und ihr Dorf bleibt schön und – live! Am Leben!“

Dass es mit der Gärtnerei weitergeht auch nach ihnen, ist schon jetzt ein Thema. Die eigenen Kinder müssen es nicht sein, die die „Gemüserei“ übernehmen, Hauptsache, es geht weiter. Deswegen investieren sie Zeit und Pflege in den Boden und das ökologische Gleichgewicht, wie sie auch in ein Gewächshaus investieren. „Der Boden ist, ja, wie unser Arbeitsgerät. Wir müssen uns um ihn kümmern, und das ist schön.“


Heimat ist kein Ort, Heimat ist geteilte Wertschätzung
Bei einer Tasse Kaffee und dem kleinen Glück eines bretonischen Mandelkuchens dürfen wir ein bisschen bei der Kaffeepause dabei sein. Woher sie ihre Motivation nehmen? Von gutem, gemeinsamem Essen, von ihrem Gemüse, geteilt in Gemeinschaft. „Das ist Lebensqualität. Wir haben nicht viel Geld. Aber dass wir jeden Mittag mit den Leuten, die hier arbeiten, super essen können, das ist echt eine große Motivation.“
Auch die wertschätzende und „liebevolle“ Rückmeldung aus den Restaurants und von der Marktkundschaft trage nach einem harten Tag dazu bei, wie auch die eigene, sinnstiftende Arbeit an sich: „Natürlich gibt es Misserfolge und Verzweiflung und Familie. Und Hagel und was weiß ich, aber die Freude an der Arbeit, das erfüllt einen.“

Sie könnten natürlich auch etwas anderes arbeiten, so gut ausgebildet wie sie sind. Aber auch mit Blick auf das Umfeld gibt es für sie keine bessere Arbeit, denn welcher Job hat keine Herausforderungen und warum sollte Arbeit leicht sein? „Ich glaube, es gehört zum Leben, das nicht immer alles einfach ist. Das ist schwer zu lernen, aber es ist so.“ Charlotte sagt es so heiter wie besonnen, und alle am Tisch erleben einen Moment echter Verbundenheit.

Bei dieser weltumspannenden Geschichte, die in die Schollen Windachs mündet, stellt sich doch ein bisschen die Frage, wo für Charlotte und Martin eigentlich Heimat ist. Und die Antwort kommt so klar wie schlüssig. Martin: „Es ist egal wo – die Menschen machen es aus. Wo die Menschen die richtigen sind, ist Heimat. Und das ist gerade hier.“  „Und das Essen,“ ergänzt Charlotte. „Wo es die Tradition gibt, jeden Tag zusammen zu sitzen, zu kochen und zu essen, dort sind wir daheim. Dieser Respekt für das Essen, die Liebe für das Essen, das ist zuhause zu sein.“

Wir bedanken uns für die Heimat, die wir bei Hand & Erde teilen durften, und machen uns erfüllt von diesem werteorientierten Wirtschaften wieder auf den Weg. Unser dritter Streifzug zwischen Lech und Grünten führt uns nun lechaufwärts nach Waal, wo wir mit eigenen Augen und Fotoobjektiven sehen wollen, wie Tante Resi mit ihrem mobilen Unverpackt-Laden Dorfplätze zum Leben erweckt…

Kontakt:
Hand & Erde Windacher Bio-Gemüserei
Verkauf: Freitags 16-19 Uhr, Münchner Straße 19, 86949 Windach
Tel. 08193-950096
handunderde@gmail.com
https://handunderde.de/

Die Windacher Bio-Gemüserei Hand & Erde liegt im Norden des Ammersees zwischen Geltendorf und Landsberg am Lech. Sie hat keinen regulären Verkauf vor Ort. Die landschaftliche reizvolle Lechrainer Umgebung ist durch den Ammersee-Radweg, den Amper-Ammer-Radweg und das Radwegenetz Schlosspark (C) gut erschlossen.
Dieser Artikel ist Teil der HeimatUnternehmen-Reportageserie Streifzüge durch Schwaben, die hier insgesamt zu finden sind.
Texte: Veronika Heilmannseder, Fotos: Daniel Delang

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