„Wenn ich in die
Innenstadt gehe mit meinen Kindern, gibt es kein Angebot, wo wir als Familie
hingehen können“, erläutert uns Florian Stowasser das Problem. „Was essen, was
trinken, einfach in der Innenstadt sein, ob abends allein oder tagsüber mit kleinen Kindern, ist wenig
attraktiv in Marktoberdorf.“
Dabei ist der
Unternehmer schon einer, der mit seiner Cocktailbar Konterkaffee einen
wichtigen Impuls setzt an der zentralen Meichelbeckstraße. Zusammen mit einem
Compagnon betreibt er seit 2016 auf eigene Initiative die Bar in einer früheren
Bleizugmaschinenfabrik. Der frühindustrielle Charme hat sich erhalten. Die Bar
ist läuft gut, aber das Gebäude, in dem wir uns bei unserem Stopp der Streifzüge durch Schwaben treffen, insgesamt hat Sanierungsbedarf wie Ausbaupotenzial.
Ein Stadt hat immer auch ein Erbe an Strukturen und Ideen
Die Bleizugmaschinenfabrik
ist ein Teil des Areals, das die Unternehmerwitwe Emmi Fendt der Stadt
Marktoberdorf vermacht hat. Als eine von mehreren Fendt-Familien prägten sie
und ihr Mann Clemens über Jahrzehnte die aufstrebende Entwicklung der heutigen Kreisstadt im
Ostallgäu mit. In dieser war es nicht unüblich, dass sich Gewerbe und
Protoindustrie lange in der Innenstadt halten konnte, bevor sich die Industriezonen
am Stadtrand aufblähten. Schöne Bürgerhäuser und eben ortsbildprägende Werkstattgebäude
als auch überraschenderweise typische Allgäuer Bauernhöfe haben sich baulich in
der Innenstadt erhalten. Sie zeugen vom Aufstieg und vom Miteinander einer
ländlichen Industriestadt, die sich nach dem Wegfall der fürstbischöflichen Zentralperspektive
1803 neu orientieren musste und dies mit Erfindergeist und regionaler Verbundenheit zu meistern wusste. Heute greifen junge Inititativen bewusst auf den Altbestand zurück, entwickeln neue Plattformen und erhalten lokale Angebote. Es tut sich was. Jetzt muss es wieder verstetigt werden.
Ein Kontrapunkt gegen Innenstadtverödung
Florian schiebt
den schweren Riegel zurück und öffnet die Tür zum Gelände, das er gerne
entwickeln möchte. Der lebendige Innenhof der Bar KonterKaffee zeigt heute
schon, wohin die Reise gehen kann. Während er einen Sitzwürfel aus der Außengastronomie
repariert, haben wir kurz Zeit, uns das Konzept erläutern zu lassen.
Der ausgebildete
Betriebswirt und Eventmanager möchte mit einem kleinen Team aus dem Areal einen
Gewinn für die Stadt und das Umland machen. Wie ein Magnet sollen verschiedene Angebote
aus Gastronomie, Design und Handwerk Gäste und Einheimische anziehen und
gleichzeitig die Innenstadt beleben. Für die hiesigen Handwerks- und
Designgewerbe bietet sich die Chance auf kleinere, flexible Einheiten, die auch
für Berufsanfänger eine gut wahrnehmbare und synergetisch genutzte Verkaufsumgebung
ergeben. Die Projektler planen, die Bar weiterzubetreiben und mit einem
Co-Working-Bereich, Büros und Werkstätten zu ergänzen. In die angrenzende
Turmuhrenwerkstatt soll eine zur Innenstadt geöffnete Markthalle für handwerkliche
Food- und Design-Produkte einziehen, die rückseitig im geschützten Bereich in einen
Biergarten mündet. Florian zeigt auf ein langes, schmales, aber durch seinen
Dachüberstand wohlproportioniertes Lagergebäude: „Ein unbeachtetes Juwel!“
Unter seinem markanten Dachstuhl sollen eine Klein-Brauerei und ein kleiner Saal
für Feste und Events entstehen.
Gehen durch Gelände und Konzept: von Gastwirtschaft, Grünraum bis Handwerkerareal
Wir wollen
natürlich alles sehen, was dazu gehört. Die Kunst für Fotograf Daniel Delang
ist, im noch nicht entwickelten Baubestand Perspektiven und Stimmungen einzufangen,
die die Ideen der Projektentwicklung rüberbringen. Denn, zugegeben, wie immer gibt
es ganz alltäglich biedere Wandputzfarben, Straßendreck und als Marker innerstädtischer
Verödung die Schaufensterreste einer Videothek. Wir aber möchten ja die Geschichte
des Potenzials erzählen.
Beim Gang durch
das Emmi-Fendt-Areal finden wir die unterschiedlichen Epochen und Baustile
Marktoberdorfs auf einem Fleck. Nach den hohen Räumlichkeiten der Bleizugmaschinenfabrik
und der Turmuhrenwerkstatt kommen wir zum denkmalgeschützten „Grafenhof“, der
mit großem Widerkehr und kleinem Bauerngarten das alte Landleben aufploppen lässt,
mitten im Stadtzentrum. Wir können uns gut vorstellen, wie hier eine richtige
Gastwirtschaft mit Stube und schönem Außenbereich einzieht. Wäre es nicht
charmant, man würde auf der alten Salzstraße durch Marktoberdorf nicht nur direkt
auf die historische Fassade des Grafenhofs zufahren, sondern fände an zentraler
Stelle auch gleich noch ein Beispiel für die viel besungene Gastlichkeit
Bayerns?
Eine Wohltat ist
es schon jetzt in das Grün hinter dem Haus zu gehen. Das benachbarte
Heimatmuseum der Stadt im Hartmannhaus greift den ländlich-ruhigen Charakter auf.
Zonierte Bepflanzung und fußläufige Wege im und um das zukünftige Areal soll es geben. Die
Handschrift einer ökologiebewussten Landschaftsarchitektin aus dem Projektteam ist
auch dem Planungskonzept zu entnehmen.
„Dass man die
Kinder einfach mal springen lassen kann,“ sagt Florian noch zum Thema
zukünftige Nutzung und weist damit auf die Schwierigkeit hin, die
unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Alters- und Anspruchsgruppen in
einer dichten und verkehrsreichen Innenstadt zu integrieren. Doch auch wir
freuen uns über den Baumschatten hinter dem Haus und sind damit in einem weiteren Potenzialfeld der Ortsentwicklung.
„Eine riesige Chance“ - die Idee von außen betrachtet
„Das Vorhaben von
Florian ist eine riesige Chance für Marktoberdorf“, sagt Heimatentwickler
Christian Skrodzki, der das Projekt für die Initiative HeimatUnternehmen begleitet.
„Nicht nur für die Stadt, auch die Bürgerinnen und Bürger aus der Umgebung können
sich hier mit Unterstützung, Ideen und unternehmerischen Angeboten einbringen.“
Leerstandsentwicklung, die in vielerlei Hinsicht anschlussfähig ist, bringt eben
nicht nur einer Stadt etwas, sondern auch ihrem Umland.
Ein erlebbares Areal, kleinstrukturiert, mit Handwerk, Gastronomie, Büros und Wohnungen wird erfahrungsgemäß, so Florian, überregional wahrgenommen. „Ich wollte eigentlich nur die Bleizugmaschinenfabrik ausgestalten“, erinnert er sich. „Doch die Stadt möchte nur das ganze Areal gesamt betrachten.“ Für den Antreiber Florian Stowasser, der zudem aus dem Stand mit seinem Unternehmenspartner einen Klettergarten im Süden Marktoberdorfs erfolgreich gegründet hat, war es eine machbare Aufgabe, auch ein schlüssiges Gesamtkonzept, das wir hier in der HeimatUnternehmen-Projektbeschreibung aufzeigen, zu entwickeln. Inzwischen soll ein Teil nach Möglichkeit an eine Bürgergenossenschaft gegeben werden: Der Grafenhof mit Gastronomie, Wohnungen und erlebbarem Handwerksarel. Das ist eine Idee, die zu diesem Konzept mit seiner offenen Nutzungsvielfalt im historischen Baubestand Marktoberdorfs gut passt.
Florian, der das
Projekt Emmi-Fendt-Areal ehrenamtlich anschiebt, muss zurück an die Arbeit, und
auch wir ziehen weiter für die letzte Etappe dieses ländlichen Streifzugs aus dem Ostallgäu ins Oberallgäu. Von Maschinenbau, typischer Baukultur und neuen Ideen haben wir nun einiges erfahren, jetzt wollen wir es wissen: wie geht es einem Ur-Betrieb im Allgäu, einer Alpe? Wie kann man diese in die Zukunft führen? Rund um den Grünten, den markanten Allgäuer Wächterberg, werden wir doch bestimmt fündig auf unserem Streifzug. Was wir gefunden haben, steht in der nächsten Folge von Streifzüge durch Schwaben.
Kontakt
KonterKaffee am Emmi-Fendt-Areal
Meichelbeckstraße
12a, 87616 Marktoberdorf
Vertreten durch
die Klette GmbH
Florian Stowasser, stowasser(at)klette-am-ette.de
Für unseren dritten Streifzug in den Streifzügen durch Schwaben haben
wir die Route von Landsberg über Waal und Marktoberdorf nach Rettenberg gelegt. Entlang der
alten Kulturachse Via Claudia Augusta geht es lechaufwärts vorbei an
barocken Kleinoden und einer noch recht flachen, abwechslungsreichen
Landschaft hin zur Allgäuer Alpenkette. Man kann dem reifen Lech
flussaufwärts Richtung Auerberg und Königswinkel folgen oder nach kurzer Westquerung
auch dem Wertach-Radweg entlang des kleinen Gebirgsflusses. Ab Oy-Mittelberg besteht die Möglichkeit für die jetzt hügelige Strecke auf den Bodensee-Königssee-Radweg nach Rettenberg und die Region Alpsee-Grünten zu wechseln.
Dieser Artikel ist Teil der HeimatUnternehmen-Reportageserie Streifzüge
durch Schwaben, die hier insgesamt zu finden sind.
Texte: Veronika Heilmanneder, Fotos: Daniel Delang