Schwerpunkt-Thema: „Jeder hat die Chance, gehört zu werden“
Postbauer-Heng hat den Ruf, ein großartiges Beispiel für eine befähigende Kommune zu sein. Wie kommt es, dass es bei euch so gut läuft?
Horst Kratzer: Es liegt unter anderem daran, dass es wenig Streit bei uns gibt. Wir sind da gut aufgestellt und lassen Themen in der Regel nicht hochkochen, sondern klären alles vorher. Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, wir versuchen rechtzeitig zu kommunizieren und beteiligen die Leute. Dafür nutzen wir auch Social Media, denn es gibt immer weniger Zeitungsleser.
Wie geht man am besten rein in einen Bürger-Dialog?
Horst Kratzer: Aus meiner Sicht ist es immer gut, wenn man erst einmal die wesentlichen Fakten bringt. Und dann zu fragen: Was haltet ihr davon? Bei der Windkraft zum Beispiel haben wir eine Collage gemacht, wie das aussehen könnte, und das anschließend diskutiert. Jeder hat die Chance, gehört zu werden. Und obwohl nicht jede Meinung sich durchsetzen kann, ist am Ende eine Akzeptanz da. Auch weil die Bürgerinnen und Bürger beim Dabei-sein andere Aspekte und Betrachtungsweisen sehen und dazulernen.
Verlangsamt Bürgerbeteiligung die Prozesse nicht sehr?
Horst Kratzer: Beteiligen kostet Zeit, aber es nicht zu tun erst recht. Zu wenig Bürgerbeteiligung führt zu Missverständnissen und wenn dann falsche Informationen die Runde machen, muss das erst wieder geklärt werden, bevor es weitergehen kann.
Dennoch ist Bürgerbeteiligung doch sicher oft anstrengend?
Horst Kratzer: Schon. Aber ich bin jemand, der die Herausforderung mag, selbst mit unbeliebten Themen in eine Bürgerversammlung zu gehen. Ich habe da keine Angst davor. Da hilft mir sicher auch meine 30-jährige Polizei-Tätigkeit dabei, ich bin Konflikt-trainiert und geübt darin, Diskussionen sachlich und konstruktiv zu halten.
Und im Ergebnis habt ihr weniger Streit. Ist das auch im Gemeinderat so?
Horst Kratzer: Ja. Wir hören von der Lokalpresse, dass man bei uns gar nicht weiß, wer von welcher Fraktion ist. Von allen Seiten kommt wertvoller Input. Und bei Abstimmungen geht es um die Sache. Natürlich kommt das Partei-Thema bei Kommunalwahlen eine Zeitlang hoch. Aber bei der Arbeit im Gemeinderat spielt das dann keine Rolle mehr. Genau genommen kann ich mich kaum daran erinnern, wann einmal Anträge von Fraktionen kamen. Bei uns gibt´s den Punkt „Sonstiges“.
Wie ist das zu verstehen?
Horst Kratzer: Viele Bürgermeister schrecken vor dem Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ zurück und haben ihn nicht auf der Agenda, mit dem Argument, dass es dann zu viele, teils unnötige Themen gibt. Das mag manchmal zutreffen, wir hatten natürlich auch schon langwierige Diskussionen. Aber grundsätzlich finde ich: Wir müssen alle Anliegen mitnehmen. Die Gemeinderäte sprechen ja für die Bürger draußen, die sie gewählt haben. Wobei ich jetzt „draußen“ gesagt habe, und das ist ein Begriff, den ich eigentlich nicht mag.
Was ist verkehrt an „draußen“?
Horst Kratzer: Das klingt so, als wäre das Rathaus in einer anderen Welt. „Draußen“ deutet eine Distanz an und ist deshalb der falsche Begriff. Mit solchen Begrifflichkeiten geht es los, dass die Menschen politikmüde werden, weil sie den Eindruck haben, Politiker sind abgehoben. Ich will solche Begriffe deshalb vermeiden. Schließlich bin ich selbst auch ein Bürger dieser Gemeinde.
Ist zu viel Bürgernähe nicht manchmal auch belastend?
Horst Kratzer: Wenn ich beim Bäcker bin, werde ich dreimal angesprochen. Das ist halt so. Ich bin so aufgewachsen. Meine Eltern waren stark in Vereinen engagiert, das bringt es mit sich, dass man viel kommunizieren muss. Abgesehen davon gibt es ja nicht nur Kritik, sondern auch viel Lob und das freut mich.
Rückblickend auf Ihr jahrzehntelanges kommunalpolitisches Engagement – was ist heute gesellschaftlich anders?
Horst Kratzer: Die Unzufriedenheit der Menschen hat zugenommen. Das liegt auch an Social Media, weil da Neid provoziert wird. Und die Familienstrukturen haben sich verändert, das bringt neue Herausforderungen mit sich. Wir reagieren dann mit Angeboten wie unserem Familienstützpunkt – mit dieser Anlaufstelle waren wir die ersten im Landkreis. Wir haben zudem viel Zuzug insbesondere aus dem Nürnberger Raum und damit eine sehr vielfältige Gesellschaft bei uns, das hat vorstädtische Züge. Darunter sind Menschen, die in unserer Gemeinde nur wohnen und schlafen, aber auch viele, die sich sehr engagieren und sich einbringen wollen. Auch bei den Jugendlichen ist das so: Es gibt bei uns nicht mehr die eine homogene Dorfjugend, die in Vereinen organisiert ist. Umso wertvoller sind unsere Streetworker und eine gute kommunale Jugendarbeit.
Was ist aus Ihrer Sicht – neben der Bürgerbeteiligung – unerlässlich für eine befähigende Kommune?
Horst Kratzer: Das Ehrenamt! Die Strukturen, die es z.B. durch die Vereine und Menschen gibt, die mehr tun, als sie müssen, sind elementar. Es ist sehr wichtig, dass man das unterstützt. Da reicht es nicht aus, einmal im Jahr die Jahreshauptversammlung zu besuchen. Außerdem ist es wichtig, dass die Ortsteile sich in der Kommune wiederfinden können und ihre Anliegen gehört werden.
Sie sind seit mehr als 40 Jahren in der Kommunalpolitik tätig – seit Mai 1984 im Gemeinderat, seit 18 Jahren Bürgermeister, davor 6 Jahre Stellvertreter – was sind Ihre Pläne für die Zeit nach Ihrem Abschied als Bürgermeister 2026?
Horst Kratzer: Ich möchte einen Sprachkurs in Italien machen und eine Rundreise anschließen. Überhaupt freue ich mich auf Reisen – ich habe schon 18-mal Haus-Tausch gemacht, war in Kanada, den USA und an vielen Orten in Europa. Da haben sich die Leute manchmal gewundert, dass es Menschen gibt, die zum Beispiel ihr Haus in Florida mit meinem Haus in Postbauer-Heng tauschen. Aber hier ist es schön, wir sind mitten Bayern und gut angebunden! Die Besucher sind begeistert, dass sie von hier aus viel erleben können. Abgesehen vom Reisen: Wir haben einen gemeinsamen Familien-Fischweiher. Da gibt es immer viel zu tun.
Postbauer-Heng ist eine Marktgemeinde im westlichen Landkreis Neumarkt i.d.OPf mit rund 8000 Einwohnern. Die Kommune wurde 2021 mit einem Zertifikat für ihre Gemeinwohl-Bilanz ausgezeichnet, als zweite Gemeinde in Bayern nach Kirchanschöring. Postbauer-Heng hat sämtliche politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten darauf ausgerichtet, das Wohl aller zu fördern, indem Werte wie Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt gestellt werden. Ziel ist es, eine lebenswerte und faire Gemeinschaft zu schaffen, in der ökologische, soziale und ökonomische Interessen in Balance sind.