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Reportage

Kapital mit Seele

Wie Genussrechte Unternehmen stärken und Beziehungen schaffen
3. September 2025
© Markus Hoppe
Ein altes Gasthaus in Unterachtel. Eine kreative Brauerei in Waakirchen. Ein historisches Gebäude in Bärnau. Mit im Boot: die Menschen aus der Region. Wie Unternehmen mit Genussrechten wachsen – und warum immer mehr Menschen in regionale Projekte mit HeimatMehrWert investieren.

„Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße,“ zitiert Nina Brehm Martin Walser und beschreibt damit auch ein wenig ihr eigenes Lebensmotto. Wir sitzen im künftigen Gastraum der Lindenwirtin, der bereits viel Atmosphäre ausstrahlt. Während nebenan an der neuen Küche gebaut wird, sprechen wir über ihre Motivation, ein altes, leerstehendes Gebäude in einem Dorf zu erwerben, das aktuell etwa 80 Einwohner zählt.

„Ich wollte immer schon mein eigenes Ding machen und einen Ort wie diesen gestalten“, sagt Nina Brehm. Denn sowohl der Ort als auch das Wirtsehepaar bringen mit, was es am meisten für eine Unternehmung wie die Lindenwirtin braucht - viel Potenzial.

Gemeinsam mit ihrem Mann Jan hat sie 2022 das ehemalige Wirtshaus Grellner „Zum weißen Ross“ in Unterachtel erworben – ein traditionsreiches Gebäude mit Charme und Geschichte. Nach dem Start mit dem Biergarten wollen die Brehms jetzt expandieren: Die Innenräume sollen wiederbelebt, der Gastraum nutzbar gemacht werden.
Doch der Umbau kostet. Und wie so oft bei jungen, engagierten Unternehmern lautet die Frage: Woher das Geld nehmen?

Neben einer Förderung durch das Amt für Ländliche Entwicklung liegt ein Teil der Antwort auch bei den Menschen in der Region. Genauer: in der Beziehung zu den Menschen, die den Ort und seine Idee mittragen wollen.

Genussrechte – Kapital mit Sinn

„Genussrechte sind Kapital mit Beziehung“, sagt Petra Wähning. Die Kommunikationsexpertin begleitet Projekte, bei denen nicht nur das Geld, sondern auch die Haltung zählt. Sie ist Initiatorin der Genussgemeinschaft Städter und Bauern – und berät all jene, die mit Blick auf das Gemeinwohl wirtschaften wollen.

Genussrechte sind dabei eine Art leiser Gegenentwurf zum klassischen Finanzmarkt. Sie bringen kein Stimmrecht, aber eine Gewinnbeteiligung. Kein Spekulieren, sondern Beteiligung auf Augenhöhe. „Ich arbeite mit Menschen, die etwas Sinnvolles tun wollen – und dabei andere mitnehmen“, sagt Wähning.

Genussrechte beteiligen Investoren am Jahresergebnis eines Unternehmens. Meist gibt es keine  Stimm- oder Kontrollrechte für den Erwerber, aber bei Laufzeit, Kündigung oder Rückzahlung können sie sehr flexibel gestaltet sein - oft wahlweise mit Naturalienverzinsung – also etwa Gutscheine für die Produkte, die der Emittent herstellt, oder Essensgutscheine. Was sie besonders macht: Die persönliche Beziehung zwischen Anteilszeichnern und Unternehmen.

Petra Wähning begleitet die Unternehmen auf ihrem ganz individuellen Weg. Neben der fachlich richtigen Ausführung geht es dabei oft auch um mentales Coaching. „Manchmal hadern die Menschen, bevor sie mit ihren Ideen das erste Mal an die Öffentlichkeit gehen.“ Doch meist lässt der Zuspruch von den Menschen aus der Region nicht lange auf sich warten. In Unterachtel waren sie von der Bereitschaft zur Beteiligung überwältigt. Schon bei der ersten Genussrechte-Veranstaltung im künftigen Gastraum wurden 45.000 Euro gezeichnet.

Wer Genussrechte vergibt, verkauft nicht nur Rendite – er gibt dem Verbraucher das gute Gefühl, in ein sinnvolles Projekt vor der Haustür investiert zu haben.
– Petra Wähning

Genussrechte sind ein Versprechen

Die Brehms bieten zwei Genussrechtsmodelle an: Variante 1 mit 500 Euro je Anteil sowie Variante 2 ab 5.000 Euro Investition und höherer Verzinsung. Die Zeichner – oft Gäste oder Menschen aus der Region – erhalten dafür Zinsen in Form von Geld oder Naturalien. Die meisten wählen übrigens die Variante mit dem höheren Beitrag. Für Nina Brehm ist das ein Vertrauensbeweis: „Die Menschen glauben an uns. Und sie wollen, dass dieses Projekt gelingt.“

Das Konzept der Lindenwirtin überzeugt: Brot aus dem Holzofen, regionale und saisonale Zutaten, oft vegetarische und vegane Küche. Gekocht wird mit Leidenschaft und ohne Rezept – so, wie Nina es von ihrer Großmutter gelernt hat. „Das Kochtalent wurde mir in die Wiege gelegt.“ Dazu ein integrativer Arbeitsplatz, der soziale Teilhabe schafft.

Jetzt, in der Umbauphase, ist jeder Beitrag entscheidend. „Das ist mehr als Geld“, sagen Jan und Nina. „Es ist ein Versprechen – an die Region, an unsere Gäste, an unsere Unterstützer.“


„Investier in Bier“ – Hoppe Bräu geht seinen eigenen Weg

Auch Markus Hoppe, Gründer von Hoppe Bräu in Waakirchen, setzt seit 2024 auf Genussrechte – allerdings mit einem anderen Fokus: Bei ihm geht es nicht vorrangig um bauliche Investitionen, sondern um Kundenbindung und Wachstum.

„Ich sehe unsere Brauerei als einen Ort der Gemeinschaft“, sagt Hoppe. Die Idee der Genussrechte passt da gut hinein. Das eingesammelte Kapital wird für „Wachstum, Gastronomie und Festoffensive“ verwendet. Markus hat es in die Festausstattung der Brauerei und in Gastronomie Projekte investiert, unter anderem in Biertischgarnituren, Kühlanhänger und Schankanlagen bei den Wirten, und damit die Entwicklung der Brauerei befördert. Das Besondere: Auch seine Anleger sind keine anonymen Geldgeber – sondern Freunde, Fans, Stammgäste.

Der Anteilszeichner mit der weitesten Anreise? Kommt aus Doha. Ein Urlaubsgast, der so begeistert war, dass er spontan Anteile zeichnete.

Unsere Genussrecht‘ler sind unsere besten Botschafter – sie erzählen von uns, bringen Familie und Freunde mit und kommen jedes Jahr wieder.
– Markus Hoppe

Bärnau: Bürger retten historisches Ackerbürgerhaus

Ein weiteres Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von Genussrechten findet sich im oberpfälzischen Bärnau. Mitten im Stadtkern steht eines der ältesten Gebäude des Ortes – das historische Zintlhaus, ein sogenanntes Ackerbürgerhaus. Über 30 Jahre lang war es unbewohnt, der Verfall drohte. Doch 2017 fanden sich engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammen und gründeten einen Verein, um das Haus zu retten.

Heute ist das Gebäude eine große Baustelle mit einer klaren Vision: Es soll ein lebendiger Treffpunkt für die Stadtgesellschaft werden. Eine Mitmach-Brauerei soll an die alte Zoigl-Tradition anknüpfen, weitere Ideen reichen von Kulturveranstaltungen bis hin zu Co-Working. Die Basis für das Projekt: der außergewöhnliche Charakter des Hauses – mit einem Keller aus dem 13. Jahrhundert und Bauabschnitten aus mehreren Epochen – sowie ein engagiertes Team aus jungen wie erfahrenen HeimatUnternehmern.

Ein deutliches Bekenntnis zum Projekt legten die Bürger schon ganz am Anfang ab: Die 11.000 Euro für den Kaufpreis sammelten sie aus eigener Tasche. Auch bei der Eigenleistung für die Städtebauförderung waren sie kreativ – und schrieben bayernweit Geschichte: Als erster Verein beschafften sie 100.000 Euro über Genussrechte für ein Sanierungsprojekt.

Der Gemeinschaftsgeist blieb auch in schwierigen Zeiten wie der Corona-Pandemie stark. Auch lokale Unternehmen halfen mit, stellten Bagger oder Arbeitskraft zur Verfügung. Spätestens, als das erste selbstgebraute Bier nicht nur fertig war, sondern auch geschmacklich überzeugte, bekam das Projekt neuen Schwung.

Wolfgang Giehl und Georg Sollfrank vom Ackerbürgerhaus Bärnau e.V. bringen es auf den Punkt: 

Wir möchten unseren Enkelkindern mal sagen können: Wir haben eine Idee gehabt und wir haben’s gemacht. Nicht: Wir haben’s fast gemacht.
– Projektbeteiligte Ackerbürgerhaus

Wenn investieren Spaß macht

Für viele Unternehmen mit regionaler Verwurzelung und ideellem Anspruch sind Genussrechte ein echter Geheimtipp. Sie ermöglichen Investitionen ohne Kontrollverlust – das Unternehmen bleibt in der Hand der Gründer und Inhaber. Gleichzeitig entsteht eine emotionale Bindung zur Kundschaft.

„Man muss offen und ehrlich sein“, sagt Markus Hoppe. „Die Menschen merken, ob du hinter dem stehst, was du tust. Und wenn sie dir glauben, machen sie mit.“

Das sieht auch Petra Wähning so. Genussrechte seien kein Selbstläufer, aber mit der richtigen Haltung ein starker Hebel: „Es geht um Vertrauen, Authentizität und Kommunikation auf Augenhöhe.“


Für wen lohnt sich das alternative Finanzierungsmodell?

Nicht jedes Unternehmen eignet sich für Genussrechte. Aber überall dort, wo Genuss, Gemeinschaft und Gemeinwohl aufeinandertreffen, entfalten sie ihre Wirkung. Landwirtschaftliche Betriebe, Wirtshäuser, Brauereien sind dafür natürlich prädestiniert. Aber auch Kultureinrichtungen und Dienstleister können den Menschen aus der Region ein attraktives Angebot machen.

Voraussetzung: Es gibt ein echtes Produkt, eine erlebbare Dienstleistung und eine greifbare Vision – und den Mut, Menschen einzubinden.

Mut zur Veränderung ist, was es braucht. Wer sich nicht verändert, steht still.
– Markus Hoppe

Kapital schafft HeimatMehrWert

Ob Wirtshaus in Unterachtel, Brauerei in Waakirchen oder Ackerbürgerhaus in Bärnau – wer Genussrechte an seinem Unternehmen anbietet, entscheidet sich für mehr als nur eine alternative Form der Finanzierung. Er ermöglicht es den Menschen in der Region, mitzugestalten und Teil einer Idee zu werden, die über die reine Geldanlage hinausgeht.

Petra Wähning bringt es auf den Punkt:
„Genussrechte sind kein Finanzinstrument für jedermann – aber für diejenigen, die Wirtschaft und Beziehung zusammendenken, sind sie ein Geschenk.“