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Streifzüge durch Schwaben 9: Jenseits von Sauerkraut

Syl Gervais und die heimischen Aromen in grüner Küche und gesunder Speisekammer

Projekt: Streifzüge durch Schwaben
Eine junge Unternehmerin betrachtet eine Tomate, sie lächelt
Eine, die Gemüse & Co. liebt: Syl Gervais veredelt in ihrer Grünen Küche Wild- und Feldfrüchte für eine gesunde Speisekammer.
© Daniel Delang/Initiative HeimatUnternehmen

Digital und lokal sind Syl sowie ihre Kund:innen
Syl Gervais ist Autorin zweier Bücher zu einer gesunden, grünen Küche und Speisekammer. Sie verarbeitet lokale Produkte, vor allem Wild-, Garten- und Feldfrüchte, und nutzt besonders gern die traditionelle Technik des Fermentierens. Außerdem betreibt sie eine digitale Masterclass und bietet Workshops an.
Ein wirkliches Kochstudio hat Syl dafür nicht, dafür ein erfolgreiches Online-Business, mit dem sie – genau anders herum wirkend – die Menschen wieder direkt und ganz konkret mit den natürlichen Lebensmitteln in ihrer Umgebung in Verbindung bringt.

Die persönliche Wende: eine gesunde Ernährung
Bis sie dahin gekommen ist, hatte sie einen völlig anderen Beruf, litt aber gleichzeitig unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Zuwendung zu pflanzlichen Lebensmitteln aus ihrer unmittelbaren Umgebung brachte ihr Gesundung – und eine neue Sicht auf Essen. Sie erinnerte sich an das, was sie von klein auf bei ihrer kerngesunden, heute über 80 Jahre alten Oma kennenlernte, nämlich das simple wie wirkmächtige Haltbarmachen mit Salz und Hefen. Ohne Zusatzstoffe.
„Es ist so einfach, und es ist so gesund, denn die wertvollen Früchte werden durch das Fermentieren bekömmlicher und erhalten mehr geschmackliche Tiefe.“ Syl gerät ins Schwärmen über die Möglichkeiten und Geschmacksvarianten, die sich mit ein bisschen Übung herstellen lassen. Dies gilt auch für weitere veredelte Lebensmittel wie Brot, Sauerkraut, Aufstriche oder Suppen, quasi Klassiker in jeder Küche. Natürlich muss man an dieser Stelle aktuell auch Oxymel und Hydromel nennen, die Gesundheitstrunke auf Essig- und Honigbasis, die gerade Menschen und Medien begeistern.

Fermentieren: autark, bewährt, praktisch
„Fermentation ist wie das Kochen selbst eine unschätzbare Errungenschaft menschlicher Kultur und wohl auch ähnlich alt: Bereits in der Antike wussten die Menschen Techniken zur Fermentation gezielt einzusetzen.“ So beschreibt die Genussakademie Bayern den Wert der eigentlich simplen Tätigkeit. Doch mit dem Siegeszug von Kühlschrank und Pasteurisieren ist die alte Kulturtechnik des Fermentierens, außer etwa bei Wein, Käse, Sauerkraut und Essiggurken, ein Stück weit in Vergessenheit geraten. Obwohl die veredelnde Lebensmitteltransformation einen Strauß an gesunden wie kulinarischen Möglichkeiten für eine eigenständige Versorgung bietet und Speisen mehr geschmackliche Strukturen verleihen kann.

Achtsamkeit der wilden Küche?
Syl Gervais geht es genau darum, das, was vor der eigenen Haustüre wächst, lebendig und schmackhaft haltbar zu machen, und außerdem ein Bewusstsein für eine gesunde, vielfältige Speisekammer auf Pflanzenbasis zu schaffen. So sammelt sie Wildkräuter und -früchte und zeigt passend zu den Jahreszeiten Rezepte und Verarbeitungsmöglichkeiten. Mit einfachen Mitteln – Messer, Brett, Wasser, Waage, Salz –, einigen geeigneten Gefäßen, ein bisschen Ruhe und Zeit ist es für jeden möglich, selbst die gesunde und von der heimischen Natur bereicherte Vorratshaltung in die Hand zu nehmen. Traditionell und modern.
Schwupp, schon ist eine sattrote Hagebutte ins Fermentierglas gewandert. Sie vermittelt Aroma und natürliche, wilde Hefen, die die Fermentation anschieben. Außerdem ist sie ein gesundes Lebensmittel aus der unmittelbaren Umgebung und bringt unmittelbar lokale Geschmacksnuancen ein, indem sie das veredelte Nahrungsmittel mit dem natürlichen Standort verbindet. Eine Art Achtsamkeit der wilden Küche, könnte man sagen. So schmeckt es nur hier und sonst nirgendwo.

Ein regional verwurzeltes Unternehmen im Reihenhaus

Dieser Kosmos an Aromen, Geschmäckern und wohltuenden Lebensmittelvorräten lässt sich auch in einem kleinen Reihenmittelhaus am Lechrain unterbringen. Uns interessiert auch das Unternehmerische an ihrem alltäglichen Tun. Was so locker nach einem schönen Blogger-Leben klingt, fordert als tägliche Routine seinen Raum: Kräuter und Früchte sammeln, neue Rezepte ausprobieren, verschriftlichen, mit Film und Foto festhalten und in die Community und an die Workshopteilnehmer:innen vermitteln, Fermente pflegen und die Vorräte der Speisekammer planen. Von Verwaltung und Steuern war noch nicht die Rede. Hinter dem Erfolg steckt wie eigentlich immer stete Arbeit und zähe Beharrung.
Syl hat über die Jahre viele eigene Rezepte entwickelt und sich auch zur zertifizierten Fermentista ausbilden lassen. Über ihren Blog, Social Media und Online-Workshops wurde sie deutschlandweit bekannt. Auch ihre Bücher sind beliebt, eines davon bereits prämiert. Es hilft ihr, dass sie als Autorin, Foodstylistin und Fotografin ebenfalls gefragt ist, und dabei einen Schwerpunkt auf vegane Ernährung gelegt hat. Professionalität, Frische und Kreativität auf mehreren Ebenen erkennt man als Erfolgszutaten.

Besuch von HeimatUnternehmen: Was zeigen wir? Haben oder Sein

Beim Fotoshooting sind auch wir, Fotograf Daniel Delang und ich, fasziniert von den Farben und Formen der Gemüse und Wildfrüchte, die anlocken und Lust machen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Aus Syls eigener Speisekammer wählen wir fermentierte Lebensmittel nach Farben aus und kombinieren sie mit frischen Zutaten zu stimmungsvollen Bildern. Währenddessen steigen uns die Aromen der frischen  und getrockneten Kräuter in die Nase.
Der Blickwinkel des Fotografen macht aus dem einfachen Holztisch, den frischen Gemüsen und den bewährten Utensilien Bilder, die beim Betrachten die Vorstellungskraft wecken: Nimm die einfachen, guten Zutaten, die vor Deiner Haustüre liegen und mach was Tolles draus. Jedoch zeigt er, was jemand - Syl - schon gesehen hat.
Denn es ist oft so leicht gesagt, dass das Gute so nah liegt. Doch auch um das unternehmerische Glück zu ergreifen, muss man es erst erkennen und dann in kontinuierlicher Pflege entwickeln und veredeln.
Das gilt für den ländlichen Raum, wo Innovation langsamer reift, im Besonderen. Bei Syl Gervais kommen zu den Ideen auch ein wirtschaftswissenschaftliches Studium, praktische Erfahrung und Routine, die ihre grüne Speisekammer zur Schatzkammer für sich selbst und zur Lern- und Inspirationsquelle für andere werden lassen, um mit den Schätzen der Natur vor der eigenen Tür wertvolle Lebensmittel herzustellen.

So halten die Fotos symbolisch fest, was wir im Gespräch mit Syl Gervais als ihre Ziele erkenen: „Ich möchte den Menschen vermitteln: weg vom Konsum, weg von ständig Neuem, weg von Habenwollen oder Immermehr, hin zu Selbstbestimmtheit. Was kommt auf meinen Teller, welche gesunden Lebensmittel? Du unterstützt damit auch deinen Umkreis, Deine Bauern und Lebensmittelhersteller: je gesünder Du bist und je mehr Energie Du hast, umso mehr kannst Du Dich um Deine Umgebung kümmern, kannst Du selbstbestimmt durchs Leben gehen.“ Es geht bei Syls Lebensmitteltransformation also auch um einen lebensverändernden Weg vom fremdgesteuerten Habenwollen zu selbstbestimmtem Sein.

Tolle Gemüse und ein guter Tipp für einen Streifzug-Abstecher
Ganz konkret sind wir neugierig, woher die Gemüse stammen. Die kommen aus der Gemüserei in Windach, wo Charlotte Cressy und Martin Wörishofer nach einer beruflichen Kehrtwende nun glücklich die Hände in die Erde stecken. Klingt nach einer guten Geschichte? Das müssen wir sehen - wozu geht man sonst auf Streifzug! Also lautet der nächste Stopp unseres Streifzugs am Lechrain: Gemüserei Hand & Erde ...
Noch ein Blick auf den bunten Sommer im Glas in Syls Speisekammer und wir starten erfüllt in die Lechlandschaft. Wie hat es die Genussakademie Bayern erläutert: schon die alten Römer nutzten Fermentation für ihre Küche, die sicherlich auch gesunde und haltbare Lebensmittel benötigte. Da sind wir auf ihren Spuren an der Via Claudia Augusta mit ihren modernen Experten ja genau richtig.

Kontakt:
Syl Gervais – Green lifestyle Photographer & Storyteller, vegane Fermentier-Expertin, Autorin
Landsberg am Lech
Website: https://syl-gervais.de/
E-Mail: hi.syl.gervais(at)gmail.com

Streifzug vom Lech bis an den Grünten
Für den dritten Streifzug der Streifzüge durch Schwaben im Sommer 2023 werden wir vom Lech bis an den Grünten ziehen: von der schwäbischen Ostgrenze durch die historische Schlosslandschaft zwischen Lech und Wertach zum wohl bekanntesten Berg und Wächter des Allgäus bei Rettenberg im Süden. Wir streifen das traditionsbewusste Waal und finden eine junge Frau, die hier zukunftsfähiges Einkaufen ergänzt, und bleiben auf einen Sprung in der alte Fürstenstadt Marktoberdorf, in deren Stadtmitte ebenfalls junge Ideen für Zukunftskonzepte sorgen. Nach der Gemüsegärtnerei und Fermentations-Expertin am Anfang, rundet sich der Schluss des Streifzugs wieder in der Landwirtschafts: auf einer Bio-Alpe nämlich.
Die Strecke ist ab Landsberg am Lech oder Geltendorf auch gut mit dem Fahrrad zu erkunden. Die Freizeitdestination Schlosspark (R) mit den Fernradwegen Via Claudia Augusta und Königsee-Bodensee bietet ein ausgebautes Streckennetz in der reizvollen Ostallgäuer Landschaft - Bergblick inclusive.

Dieser Artikel ist Teil der HeimatUnternehmen-Reportageserie Streifzüge durch Schwaben, die hier insgesamt zu finden sind.
Text: Veronika Heilmannseder, Fotos: Daniel Delang

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