Einkaufen wie früher für die Zukunft
Das große
Unverpackt-Mobil ist eine Sonderanfertigung: Im Innenraum des Kleintransporters
ist jede Ecke gut überlegt ausgenutzt. Von der Warenauslage in der Theke bis zu
Hängebehälter und einem Hygienewaschbecken, Resi, wie Theresa genannt wird, hat
einen ganzen Einkaufsladen dabei.
Sie fährt damit im näheren Umkreis von ihrem Lebensort Waal in einem regelmäßigen Rhythmus feste Stationen zwischen Ostallgäu und Ammersee an und ermöglicht dort das Einkaufen in einem biologischen Unverpacktladen. Auch das ist etwas, was über lange Zeit das Einkaufen in den Dörfern prägte, dass über reisende Händlerinnen und Händler die Produkte aus Eigenwirtschaft ergänzt wurden. Nun findet sich eine zeitgemäße Interpretation des alten Einkaufens wieder, nämlich unverpackt und natürlich, und damit zukunftsfähig.
In der Schlange der guten LauneWir stellen uns bei unserem Stopp der Streifzüge durch Schwaben einfach mal in die Schlange vor ihrem mobilen Laden und nehmen ein paar Eindrücke mit. „Ja, die Nüsse wie beim letzten Mal, und vom Waschmittel bitte wieder die ganze Flasche voll.“ – Die Resi kennt die meisten ihrer Kundinnen und Kunden mit Namen, weiß auch Bescheid, was diese mögen und was ihnen beim letzten Einkauf gut geschmeckt hat. Wer frisch an den Stand kommt, wie wir, wird gut beraten. Schließlich hat sie nur Lebensmittel und Naturprodukte aus Überzeugung dabei und kann zum gesamten Sortiment kompetent Auskunft geben.
Es gibt quasi alles. Alles, was nicht gekühlt werden muss und in einem soliden Haushalt zu täglichem Gebrauch benötigt wird. Die Behälter sind voller Mehl, Müsli, Nudeln, Hülsenfrüchten und Getreide, es gibt Backzutaten, Naschereien und Knabberspaß. Auch Essig und Öl, Kaffee, Tee, Apfelmus sowie weitere Muse und Aufstriche hat das Resi-Mobil dabei, wie auch Hygieneartikel, Putz- und Waschmittel.
Immer wieder
sucht Theresa Kummer nach neuen Angeboten aus der Region und überprüft ihr
Sortiment auf die Qualität der Lieferanten und die Bedürfnisse der Kundschaft.
Wichtig ist ihr, dass möglichst viele ihrer Lebensmittel aus der nahen Umgebung
kommen oder, wo dies nicht möglich ist, aus Deutschland und/oder Betrieben mit hohen
sozial-ökologischen Standards. Abfallvermeidung, Ressourcenschutz und
gemeinwohlorientiertes Wirtschaften sind die drei Standbeine der
Unverpackt-Bewegung, denen sich auch „Tante Resi Unverpackt“ verpflichtet.
„Es herrscht immer gute Stimmung hier am Stand“, sagt
eine Spagetti-bepackte Unverpackt-Kundin. „Macht Spaß mit der Resi.“
Schon in der kurzen Zeit, in der wir sie in Waal begleiten, merken wir: es ändert sich was. Der weite Marktplatz zwischen dem kecken Barockzwiebelturm von St. Anna und der alten Polizeiwache mit ihrem schön-schlichtem Futura-Schriftzug ist kein Ausweichparkplatz mehr, an dessen Rändern man läuft, er wird zum Treffpunkt. Kind und Kegel, Fahrräder, Fußgänger und Autos kommen vorbei, die Reihe der Wartenden wächst und ein Kunde nach dem anderen schiebt sich vor an Resis Glastresen.
„Seit gut einem Jahr bereichert „Tante Resi" mit ihrem Angebot nun unseren Markt und ich denke, es hat sich gut etabliert und wird auch gut angenommen,“ berichtet Robert Protschka, der Erste Bürgermeister der Marktgemeinde Waal, zu der auch das kleinere Waalhaupten gehört, welches „Tante Resi“ ebenfalls ansteuert.
„Ich persönlich
finde nicht nur den Nachhaltigkeitsgedanken sehr gut. Die mutige Initiative von
Frau Kummer stärkt auch unserer Nahversorgungsangebot,“ so Protschka. „Besonders
freut mich, dass der Verkaufsstand am Marktplatz vor dem Dorfladen steht. Hier
herrscht kein Konkurrenzdenken, vielmehr ergeben sich Synergien, von denen
beide Angebote profitieren.“ Und tatsächlich
kommen Kundinnen und Kunden vom Dorfladen zu Tante Resi oder gehen von ihr hinüber
zum kleinen Supermarkt.
Rund um Tante Resis Einkaufsmobil summt es. „Gerade in Corona war es noch spürbarer, da haben sich Menschen an meinem Wagen zum ersten Mal seit Wochen wiedergetroffen,“ erinnert sich Theresa Kummer. „Und es ist mir auch sehr wichtig, dass wir auch ein Treffpunkt sind, ein Begegnungsort, wo die Menschen ins Gespräch kommen.“ Auf Social Media verstärkt sie den Austausch, indem sie etwa kleine Workshops oder Do-It-Yourself-Rezepte anbietet, die beim Selbermachen helfen.
Was das Resi
Unverpackt-Prinzip stressfrei macht
Dann ist da wohl
nur noch einer, der die Normalisierung vom „neuen Einkaufen wie früher“ etwas
hemmt: „Bei mir ist es der Schweinehund“, gibt eine Kundin offen zu. „Wenn man
dann halt nochmal los muss. Aber ich ziehe das jetzt durch und des is gut.“
Inge, die Kundin, und Resi lachen. So entspannt und vertraut wie der Einkauf
abläuft, dürfte der Schweinehund schon lange keine Chance mehr gehabt haben,
sich durchzusetzen.
Auch andere Kundinnen und Kunden berichten, dass es vor allem die Anfangszeit ist, bis sich das gezielte Einkaufsverhalten durchgesetzt habe. Aber dann lohne sich die Routine finanziell und ideell, da gezielter, sinnvoller und müllfrei eingekauft wird. Und weil der Wunsch besteht, regionale Lebensmittel zu bekommen. „Kleiner und heimeliger im Angebot, am liebsten mit dem Fahrrad zu erreichen“, fasst ein Tante Resi-Kunde seine Einkaufsziele zusammen.
Es hilft der Resi ungemein, dass sie von Anfang an eine genaue Sortimentsliste führt, die die Kundinnen und Kunden zuhause mit ihrem Vorrat abgleichen können und deren Bestandteile sie zu 99% dabei hat. Sonderbestellungen wie glutenfreie Haferflocken ausgeschlossen. „Ich würde mal behaupten, dass dies von Tag 1 an ein Erfolgsfaktor“ – setzt sie an, „Ja!“, fällt ihr die Kundin neben mir entschieden ins Wort, „war und nach wie vor ist.“ Sie sind sich einig.
Warum erklärt
Theresa so: „Ich kann nicht erwarten, dass der Kunde weiß, was hier los ist.
Wir sind ja kein Supermarkt mit immer dem gleichen Sortiment. Die Liste ist
etwas vollkommen Neuartiges in der Unverpackt-Branche.“ Dann wird man beim
Einkaufen auch nicht enttäuscht, wenn man, wie ihre Gesprächspartnerin von woanders
berichtet, dreimal unverrichteter Dinge wieder abziehen muss. „Die Liste ist
einfach genial. Sie ist im Endeffekt auch meine Eintrittskarte in Deinen
Haushalt,“ erläutert mir die Unternehmerin ihren Servicegedanken. Der liegt
zudem auch darin, dass sie die Aufgabe ihres Unternehmens auch darin sieht, die
Menschen über Neuheiten aus der Bio- und Unverpackt-Branche zu informieren.
Bar oder mit
Karte? Der Einkauf ist zu Ende und der nächste Kunde stattet sich mit seinen
Wunschwaren aus.
Purpose-Unternehmerin mit jeder Faser: Heimat als Lebensgefühl
Wir fühlen uns
bei diesem Reportage-Stopp der „Streifzüge durch Schwaben“ etwas wie auf einer
südeuropäischen Piazza: wir lassen uns treiben und schauen dem Kommen und Gehen
zu. Als kurz vor „Ladenschluss“ der Einkaufsschwung etwas abebbt, haben wir vor
denen, die auf den letzten Drücker kommen, noch Zeit für ein Gespräch auf der
Hinterachse.
Wie ist es, ein erfolgreiches kleines Unternehmen zu führen, und als junge Chefin über komplett alles entscheiden zu können? Gründerin Resi lacht. Natürlich ist dies sehr zufriedenstellend. Sie hat lange in Festanstellung gearbeitet und genießt es jetzt, als Unternehmerin eigene Entscheidungen treffen zu können. Der Umzug in ein größeres Lager und die Etablierung ihres Betriebs mit Mitarbeiterinnen ist für das 2020 gegründete Start-Up eine große Bestätigung. Außerdem ist Theresa Kummer auch im Vorstand des Verbands der Unverpackt-Läden Deutschland unverpackt e.V. gefragt und aktiv.
Typisch Dorf ist ja,
dass jeder mitkriegt, was so läuft. Auch wenn sie nur aus Landsberg ins
Ostallgäu zugezogen ist, machen die paar Kilometer Luftlinie doch eine
städtische „Zugreiste“ aus ihr, die sich ihr Standing erst erarbeiten musste. Und wie ist es ein Pionier zu sein, ist das manchmal einsam? Ja, das kann sie bestätigen. Besonders wundert sie sich manchmal gerade über junge Familien
oder Frauen in ihrem Alter, die dieselben Werte teilen, aber dann doch distanziert bleiben. „Vielleicht weil ich
dann ein bisschen so etwas spiegele, was sich manche manchmal, es muss ja nicht
immer sein, wünschen. Einfach zu sagen, hey, ich mach das jetzt.“ Das können wir
gut nachvollziehen, denn sicherlich wird das selbstbestimmte Leben gerade in
dem Alter, in dem sie jetzt ist, Anfang Dreißig, oft zunehmend von einer Vielzahl
an Verpflichtungen und Verbindlichkeiten eingeschränkt und mancher Traum verhängt sich zwischen Steuern, Windeln und Wäsche. Die Resi dagegen zeigt, wie man eigenverantwortlich gründet, sich seiner Sache verschreibt und sofort versucht, Verantwortungseigentum ernst zu nehmen.
Was ist ihre Motivation, die sie trägt? Die in mehrerer Hinsicht wertvolle Qualität der
Produkte und das gemeinsame Einkaufs-Erlebnis, das sie den Kundinnen und Kunden
persönlich und individuell bereiten kann, sind ihr großer Antrieb. Das gilt
auch für das gesamte Team bei „Tante Resi Unverpackt“, und wird von allen
Mitarbeiterinnen als Unternehmenswert geteilt. Einfach gut und gerne einkaufen, wie es sich auf dem ländlichen Marktplatz zeigt, verbunden mit den übergeordneten Werten öko-sozialer Landwirtschaft, dem Ressourcenschutz und der Abfallvermeidung wie der Gemeinwohlökonomie.
Außerdem hat sie
etwas, was sie Heimat nennt. Und das ist ein bestimmtes Lebensgefühl. Verbunden
mit einem Gefühl von Sicherheit. Hier, mit „Tante Resi Unverpackt“ und ihrem
Leben als Purpose-Unternehmerin, hat es sich eingestellt.
Da flitzt noch
ein Tretroller um die Ecke und reißt uns aus der philosophischen Tiefe. „Die
Mama kommt glei“, sagt der Bub, und das Leben am Wagen geht weiter. Servus, Resi, ciao,
sagen wir, und setzen unseren Streifzug nach Süden Richtung Grünten fort. Diesmal
die Wertach entlang bis Marktoberdorf, wo es ebenfalls um Ortskernbelebung geht.
Aber nun in einem ganzen, kleinen Kulturquartier.
Tante Resi
Unverpackt
Theresa Kummer
86875 Waal
Telefon: +49 (0)
1590 6847035
Web: tanteresi.de, E-Mail: servus@tanteresi.de
Tante Resi Unverpackt ist als mobiler Lebensmittelladen an verschiedenen Standorten in der Region Lech/Ammersee unterwegs. Sie kommt meist in kleinere Dörfer zwischen Leeder, Buchloe, Geltendorf und Dießen. Wann und wo sie in regelmäßigem Rhythmus steht, ist zu erfahren unter https://www.tanteresi.de/wannundwo
Für unseren dritten Streifzug in den Streifzügen durch Schwaben haben wir die Route von Waal weiter nach Marktoberdorf gelegt. Entlang der alten Kulturachse Via Claudia Augusta geht es lechaufwärts vorbei an barocken Kleinoden und einer noch recht flachen, abwechslungsreichen Landschaft hin zur Allgäuer Alpenkette. Man kann dem reifen Lech flussaufwärts bis ins Auerbergland folgen oder nach kurzer Westquerung auch dem Wertach-Radweg über Kaufbeuren.
Dieser Artikel ist Teil der HeimatUnternehmen-Reportageserie Streifzüge
durch Schwaben, die hier insgesamt zu finden sind.
Texte: Veronika Heilmanneder, Fotos: Daniel Delang