„Jeder HeimatUnternehmer ist Vorbild und Impulsgeber“
Landtagspräsidentin Ilse Aigner hat in der Tagespost (8.5.25) gesagt: „Ich bin der Meinung, dass der Staat nicht alles machen kann und auch nicht alles machen sollte.“ Sie betont die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements. Wie kann aus Ihrer Sicht ein aktivierender Staat die optimalen Rahmenbedingungen für Eigeninitiative schaffen?
Tobias Reiß: Es beginnt meines Erachtens bei der Bildung, also schon sehr früh. Kindern und Jugendlichen durch mehr Bildungsgerechtigkeit einen Zugang zu ermöglichen, Qualifikation zu fördern und von Anfang an einen gewissen Gründergeist zu erzeugen. Hier braucht es Beratung und Unterstützung in vielfältigster Weise. Es ist das Wichtigste, dass ein aktivierender Staat Eigeninitiative und Selbstverantwortung von Anfang an im Blick hat. Aber auch andere Bereiche muss man sich anschauen. Die Bürokratie beispielsweise. Man Leute, die ins Risiko gehen und etwas aufbauen, entlasten. Hier gibt es einige Initiativen seitens des Freistaats, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.
Würden Sie folgenden Satz unterschreiben: „Jede positive Entwicklung in den ländlichen Regionen geht von Menschen mit Unternehmergeist aus, die lieben, was sie tun, und denen gleichzeitig das Gemeinwohl ein Anliegen ist“?
Tobias Reiß: Ja, das würde ich grundsätzlich unterschreiben. Zu wissen: Ich bin nicht für mich allein auf der Welt, sondern es gibt Nachbarn, es gibt meine Gemeinschaft vor Ort und ich kann auch etwas beitragen für die, die selbst vielleicht nicht so leistungsfähig sind. Wobei es auch viele andere wichtige Akteure gibt. Um wieder auf die Bildung zurückzukommen: Natürlich ist eine gute Lehrerin, ist ein guter Lehrer auch jemand, der erreicht, dass sich die Region entwickelt. Oder jemand, der sich in einem Ehrenamt engagiert, Musikstunden gibt oder den Sportverein trainiert. Das sind auch alles Leute, die diesen Unternehmergeist in sich haben. Das bezieht sich nicht allein aufs wirtschaftliche Tun, sondern auch aufs gesellschaftliche.
„Es geht dabei nicht ums Geld, sondern es geht um das Ökosystem, das Umfeld, das Netzwerken und darum, Leute zusammenzubringen.“
Das ist das Besondere an der Initiative HeimatUnternehmen, dass es über das Ökonomische weit hinausgeht, dass hier Unternehmer fürs Gemeinwohl aktiv sind. Da verschwimmt eine Grenze.
Tobias Reiß: Ja, das ist das Geniale an dieser Initiative. Da sind Leute aktiv, die gerne Verantwortung übernehmen für sich selbst, aber auch für ihre Gemeinschaft vor Ort. Wenn man dann für den nächsten Schritt Beratung oder Unterstützung braucht, hat man einen Sparringspartner als Begleiter. Das ist die Idee hinter den HeimatEntwicklern, dass da jemand ist, der dich an die Hand nimmt. Es geht dabei nicht ums Geld, sondern um das Ökosystem, das Umfeld, das Netzwerken und darum, Leute zusammenzubringen. Es geht darum, Menschen diesen vielleicht einen letzten Schritt zu ermöglichen – es sich zuzutrauen, ins kalte Wasser zu springen und das Hobby zum Beruf zu machen oder eine bestimmte Investition anzugehen. Ob das nun ein Handwerker ist oder ein Landwirt – es geht darum, die Zukunft zu gestalten.
Wo waren Ihre bisherigen Berührungspunkte mit HeimatUnternehmen?
Tobias Reiß: Ich habe einige Berührungspunkte. Einmal über Cornelia Müller, die HeimatEntwicklerin in der nördlichen Oberpfalz, die ich sehr gut kenne. Und natürlich auch über einzelne Projekte wie den Geschichtspark Bärnau-Tachov. Der wurde mit Alfred Wolf vom ersten HeimatEntwickler der Initiative angestoßen. Bei uns in der Region gibt es außerdem den Mühlenhof Mähring, ein gutes Beispiel, wie ein HeimatUnternehmer aus einem Leerstand einen lebendigen Treffpunkt gemacht hat. Spannend wird es, wenn es während einer laufenden Aktion Herausforderungen gibt. Da braucht es immer jemanden, der Erfahrung hat, sich aber so weit zurücknimmt, dass am Ende das Projekt im Vordergrund steht.
Das ist ein wichtiger Punkt. Viele HeimatEntwickler sagen deshalb, sie können gut in der zweiten Reihe stehen. Dass es ihnen nicht darum geht, selbst im Rampenlicht zu stehen, sondern andere zu befähigen.
Tobias Reiß: Wenn man ein gutes Team ist, führt das immer zu besseren Ergebnissen. Auch ein Unternehmer braucht ein gutes Umfeld, gute Mitarbeiter und wenn dann noch dieser Geist dazukommt wie bei HeimatUnternehmen, ist das natürlich genial.
Welches Potenzial sehen Sie in HeimatUnternehmen?
Tobias Reiß: Man sieht an der bisherigen Entwicklung, dass es bayernweit bereits rund 500 HeimatUnternehmen gibt. Das zeigt, dass hier eine Saat aufgeht, die auf die Initiative von Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zurück geht und das Netzwerk immer weitere Kreise zieht. Jeder einzelne HeimatUnternehmer und HeimatEntwickler ist Vorbild und Impulsgeber. So eine Initiative fördert Eigeninitiative. Ich halte sie für sehr wichtig und sehe hier großes Potenzial.
Für den ehemaligen Landtagspräsidenten Alois Glück stand fest, dass Entwicklung von Menschen ausgeht, die mehr tun als ihre Pflicht. Gibt es aus Ihrer Sicht in unserer Gesellschaft ausreichend Menschen, die dazu bereit sind?
Tobias Reiß: Ja, ich glaube schon, dass es immer noch viele Menschen gibt, die sich nicht runterziehen lassen von der allgemeinen Stimmung. Natürlich kann man heute, in Anbetracht der Entwicklungen und wie in den sozialen Medien alles verhetzt wird, fatalistisch werden und sich fragen: Was kann ich schon beitragen? Aber es gibt viele Gegenbeispiele. Ich habe zuletzt wieder eine Jahresversammlung miterlebt von der Theatergruppe, die ich als Jugendlicher in meinem Heimatort mitgegründet habe. Diesen Verein gibt es heute noch. Viele der ersten Mitglieder sind noch dabei, also meine Generation, aber auch viele Junge. Das zeigt für mich, dass Engagement dauerhaft ist, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn es zum Beispiel eine Kommune gibt, die den Gemeindesaal so konzipiert, dass da eine Bühne ist. Und diese Art von Engagement erlebe ich in so vielen Bereichen. In Bayern haben wir das große Glück, dass unzählige Menschen sagen, ich engagiere mich gern in Vereinen, von der Feuerwehr über Sport und Musik bis hin zu denjenigen, die sagen: Ich will in meiner Region noch mehr erreichen. Ich will etwas zurückgeben. Das darf man nicht unterschätzen. Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, ist das Entscheidende. Man kann dadurch Vorbild sein in dieser komplexen Welt. Als Unternehmer genauso wie als Ehrenamtliche. Das führt auch zu einer gewissen Zufriedenheit – das Gefühl, einen Wert zu haben und einen Wert zu schaffen und nicht nur Spielball der Kräfte zu sein. Es gibt einem etwas zurück, wenn man Feuerwehrkommandant ist oder als Unternehmer Menschen einstellen und ihnen eine Perspektive geben kann. Ich erlebe, dass das in Bayern noch gut funktioniert.
Von Ihnen stammt die Aussage, der zentrale Antrieb Ihres politischen Handelns sei es, den ländlichen Raum zu stärken und gleichwertige Lebensverhältnisse in allen bayerischen Landesteilen zu schaffen. Wie weit sind wir davon noch entfernt?
Tobias Reiß: Ich komme aus einem Landkreis, der an der Grenze zu Tschechien liegt und sehr kleinteilig strukturiert ist. Die Region hat sich jedoch in den vergangenen 20 Jahren sehr gut entwickelt. Vor allem im Verhältnis dazu, was wir ursprünglich vermutet hatten. Es gab eine Zeit, da dachten wir, alles bricht zusammen. Der Eiserne Vorhang, die Porzellan-Industrie, Textil und Glas – da gab es viele Entwicklungen, die unsere Region massiv herausgefordert haben. Die Fabriken standen damals leer. Heute hat sich das gedreht. Es gibt gute Perspektiven bei uns. Wir haben heute eine viel diversere Wirtschaftslage. Eine bunte Mischung aus stabilem Handwerk, einem findigen Mittelstand, aber auch großen Playern. Sicher gibt es nach wie vor Herausforderungen, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr oder bei der Demographie. Aber das Ziel, in Bayern gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, wird ernst genommen. Das versuchen wir beispielsweise auch im Wissenschaftsbereich mit Ausgründungen in die Regionen hinaus, mit Behördenverlagerungen oder mit Stabilisierungshilfen für Gemeinden. Auch die Öffnung nach Osten: Das hat das nordöstliche Bayern vom Rand in die Mitte Europas gerückt. Es gibt also einen ganzen Strauß an Initiativen. Und nicht zuletzt trägt auch die Initiative HeimatUnternehmen dazu bei, Leute, die guten Willens sind, zu vernetzen und sich an die Hand zu nehmen. Allianzen bieten viele Möglichkeiten und Unterstützung. Und nicht zuletzt: Gleichwertig bedeutet nicht Gleichmacherei. Den Wert des Lebens im ländlichen Raum nehmen die Menschen heute anders wahr. Die Ballungsräume haben andere Herausforderungen. Ich sehe uns auf einem guten Weg.
Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, Initiativen wie HeimatUnternehmen zu stärken – nicht allein finanziell, sondern auch beispielsweise durch politische Unterstützung?
Tobias Reiß: Da geht es natürlich auch darum, dass man so eine Initiative sichtbar macht. Wir dürfen uns nicht immer nur mit Krisen und Problemen beschäftigen, wir müssen uns viel öfter verbunden zeigen mit allen, die sich engagieren. Es muss rüberkommen, dass uns das sehr wichtig ist, weil dieses Engagement eine zentrale Klammer für unsere Gesellschaft ist. Unterstützung bedeutet auch, auf Augenhöhe gemeinsam unterwegs zu sein für eine gute Entwicklung, eine gute Zukunft. Die Initiative HeimatUnternehmen gehört für mich ganz klar dazu.
„Wir haben hier die Luft zum Atmen, die Räume, um uns zu entwickeln, den Freiraum, etwas zu gestalten.“
Gestalten kann man nur, wenn man eine Vorstellung von der Zukunft hat. Wie könnte eine Utopie für den ländlichen Raum aussehen?
Tobias Reiß: Diese Utopie beinhaltet für mich auf der einen Seite unsere Natur, die wir auch als Freiraum erleben. Wir haben hier die Luft zum Atmen, die Räume, um uns zu entwickeln, den Freiraum, etwas zu gestalten. Hier ist Platz für dieses Miteinander, für „Leben und leben lassen“, hier kann man aufgehen in einem Raum mit Perspektive. Und dazu braucht es natürlich wieder die Menschen, die anpacken. Ich bin überzeugt, dass das Land Chancen bietet, die es in Ballungsräumen nicht gibt, einfach, weil es diesen Freiraum gibt. Der ländliche Raum hat hier viel Potenzial. Wir müssen für den Anschluss sorgen, die Regionen müssen infrastrukturell erschlossen sein. Aber nicht allein, damit die Leute weg fahren können in die nächste Stadt, sondern damit die Menschen unterwegs sein können in ihren ländlichen Netzwerken.
Heimat ist ein wichtiger Stabilitätsfaktor für Menschen. Ihre Bedeutung nimmt in krisenhaften Zeiten enorm zu. Deshalb ist „Heimatpflege“ im besten Sinne wichtig für die Demokratie. Wie schwer ist der Spagat, dabei nicht in „Heimattümelei“ zu verfallen?
Tobias Reiß: Die Pflege von Traditionen, zum Beispiel in Vereinen, kann Sicherheit und Stabilität bieten – und natürlich auch eine sinnvolle Beschäftigung, was den Menschen letztlich Zuversicht gibt. Man identifiziert sich mit seiner Heimat, hat hier Gleichgesinnte und Wurzeln. Es ist ein Segen, wenn man das erleben darf. Heimat darf man dabei gern größer denken als seinen Heimatort. Bayern ist Heimat, Europa ist Heimat. Die Freiheit, die wir haben, ist selten auf der Welt.
Zu guter Letzt: Was bedeutet Heimat für Sie persönlich?
Tobias Reiß: Meine Frau hat vor Kurzem einmal zu mir gesagt, sie möchte der Stützpunkt sein für unsere Familie. Das ist für mich ein schönes Bild. Dass man einen Heimat-Stützpunkt hat. Einen Ort, der einen stützt, wo man zusammenhilft, sich gegenseitig unterhakt und auch mal zum Nachbarn rüberschaut und sagt: Wo kann ich dich unterstützen? Ein Umfeld, das man pflegt, in das man sich einbringt, wo man sich engagiert und nicht daheim verbarrikadiert. Heimat bedeutet eben auch, etwas zu unternehmen. HeimatUnternehmen ist deshalb ein sehr schöner, passender Begriff.