Aktive Alpbewirtschaftung trifft moderne Viehhaltung
Ein Besamer
besamt Kühe, wenn kein Stier vorhanden ist. Da eine Kuh durchschnittlich alle
drei Wochen „rindrig“, also fruchtbar, sein kann, kommt es auch während eines Alpsommers
vor, dass Kühe bei passendem Alter und Gesundheitszustand künstlich durch einen
Besamer befruchtet werden. So ging es auch grad der Braunen, die noch kurz im Stall
verweilt, bevor sie wieder auf die Weide hinter dem Haus geht.
Ansonsten ist
eine Alpe mit der Bergbewirtschaftung gewissermaßen der Urzustand von
Landwirtschaft mit Tieren: „Das, was sie mit dem Gras vom Oberboden wegnehmen,
bringen sie selber auch wieder drauf.“ – Fressen, verdauen, düngen: Andreas Dengel fasst den
Nährstoffkreislauf via Kuh für uns kurz zusammen.
Wir sind auf
unseren Streifzügen durch Schwaben hierher nach Rettenberg in die Ausläufer der
Nagelfluhkette gekommen, um zu sehen, wie eine Familie im Voralpenland
althergebrachtes Gut und traditionelles Wissen weiterträgt, und durch einen
Standbeine-Mix unternehmerisch tätig ist. Wie geht das, eine Alpwirtschaft
heute?
Zwischen Weidepflege, Brotzeit und dem Einfluss auf lokale Wertschöpfung
Auf der Alpe
Stockach wird über den Sommer Vieh an den Hängen des Rottachbergs in luftige Höhen
getrieben, wo es die Bergwiesen beweidet. Da es keine klassische Sennalpe ist, wird die
frisch gemolkene Milch zum Käsen ans Milchwerk abgegeben. Der Fokus liegt mehr auf der
Pflege der Weiden durch die Rinder. Außerdem bieten die Dengels auf ihrer Alpe hausgemachte
Brotzeit und Kuchen an. Für Annas Kuchen kommt man gerne den steilen Weg hoch,
so zum Beispiel die zwei Ausflügler, die gerade auf der Sonnenterrasse
einkehren: „Mei‘ Frau hat’s uns empfohlen,“ sagt der eine im Sportdress, „und
es ist ein Traum.“
Sie hatten auch
hausgemachte Wurstwaren auf der Speisekarte zur Auswahl, für die Andi Dengel extra
schlachten lässt, um dann Feinbrät- und Räucherwurstwaren herzustellen. Ein
eigener Schockfroster war hierzu der entscheidende Faktor, denn der gab ihm die
Möglichkeit, zusammen mit drei lokal ansässigen Metzgern selbst zu schlachten,
das Fleisch direkt zu konservieren, zu verarbeiten und zu vermarkten. „Es ist
halt tatsächlich so, dass wir seit sechs Jahren keine Kuh mehr zum Schlachthof
getan haben, sondern das alles selber machen. Da hast Du die beste
Wertschöpfung,“ sagt er dazu. Einschließlich der guten Qualität, die die
Radfahrer auf der Terrasse von sich aus im Gespräch thematisieren.
Auf ihrem Hof unten
im Dorf gibt es außerdem noch Ferienwohnungen und den normalen Stallbetrieb. Wichtig
ist bei Dengels Bio-Betrieb der Festmist, der auf allen Mähflächen einmal im
Jahr als Langzeitdünger ausgebreitet wird. Andreas ist überzeugt, dass ein
längerfristig so gepflegter Boden Feuchtigkeit viel besser aufnimmt und
speichert, somit bei langer Hitze auch weniger Risse im Boden entstehen und
guter Ertrag über mehrere Grasschnitte gegeben ist. Mineraldünger braucht er
dazu nicht.
Schellenriemenmachen als Leidenschaft
Bekannt ist
Andreas Dengel inzwischen aber auch für seine Schellenriemen, die er in
Handarbeit fertigt. Das schauen Fotograf Daniel Delang und ich uns in der Stube der Alphütte zuerst an. Auf
einem Bock sitzend hat der Schellenriemenmacher einen großen, doppelt gelegten
Ledergurt vor sich, den er mit einem Fransenrand und Stickerei verziert. Für
die kleinen Waldschellen, die als Arbeitshilfe dazu dienen, das Vieh bei jedem
Wetter und auch in unübersichtlichem Gelände wiederzufinden, braucht er schmale,
schlichte Riemen. Für die großen Zugschellen, die beim Viehscheid oder besonderen
Anlässen zum Einsatz kommen, fertigt Andi geschmückte und aufwändig verzierte
Riemen. Viele Stunden exakter Handarbeit, Konzentration und Können stecken in
einem Riemen.
Warum macht er
das, aus Leidenschaft? „Ja, ist eine Leidenschaft“, sagt er knapp, den Faden
zwischen den Zähnen. „Weil ich ein Schellennarr bin.“ So hat er sich Stück für Stück
die alte Technik selber angeeignet, immer weiter ausprobiert und mit alten
Exemplaren aus der Gegend verglichen. Schweizer Dachshaar zwischen den beiden Lederschichten
ist zur Zeit stark gefragt. Der ursprüngliche Allgäuer Riemen hat Wollfransen
am Rand entlang, aber das Dachshaar ist etwas pflegeleichter und lässt sich
nach einem Einsatz einfacher waschen. Dafür kann er mit den Wollfransen die
Wappenfarben von Gemeinden oder Familien aufgreifen. Wie so oft ist die Tradition
nach Geschmack der Kunden auch einem stillen Wandel unterzogen.
Zwischen 80 und
100 Stück pro Jahr fertigt der Riemenmacher je von jeder Sorte, Waldschellen
und Zugschellen. Viele davon gehen inzwischen an Klausenvereine, die hochwertige
Schellen und Riemen für ihre winterlichen Umtriebe in der Vorweihnachtszeit suchen.
Die Nachfrage ist gestiegen, Hobby und Alpwirtschaft sind etwa gleichauf. Noch
ist der ursprüngliche Arbeitseinsatz – das Markieren der Tiere im Gelände –
aber unerlässlich und gehört zur Oberallgäuer Landwirtschaft.
Viele Standbeine mit bäuerlicher Bodenhaftung
Wenn es nach Anna
und Andi Dengel geht, bleibt dies auch so. Während wir das Riemenmachen
fotografieren, sind wir vom Schellen- und Glockenläuten der grasenden Rinder umgeben. Die haben
nicht nur Schellen, sondern auch Hörner. Ehrensache, sagt Anna Dengel. Die Hörner
seien von Nerven und durchbluteter Knochenhaut durchzogen, und gehörten zu
einer Kuh dazu. Anna ist wie ihr Mann schon lange der Landwirtschaft verbunden,
stammt aber von einem Betrieb weiter oben in den Allgäuer Alpen. Ihre jetzige eigene
Alpe in Dorfnähe ist für die gelernte Hauswirtschafterin einfacher in der
Handhabung. Aufgewachsen ist sie mit einer nur zu Fuß erreichbaren Sommeralpe.
Hier in Rettenberg versuchen sie, Familie, Schulpflicht, Sozialleben und
traditionelle Landwirtschaft mit Feriengästen unter einen Hut zu bringen. Außerdem
mag sie ihren Bewirtungsbetrieb, der sich auf der Alpe Stockach entwickelt hat.
„Für die Kinder ist es ein Geschenk, dass sie bei den unterschiedlichen
Arbeiten dabei sind und trotzdem ihren Interessen nachgehen können.“ Dass sich die
Familie so einig ist in ihren Werten, hilft, die viele Arbeit zu stemmen.
Als wir ein Stück den Berg hochgehen, um Fotos aus dem Weidebetrieb zu machen, wird dies auch nochmal deutlich. Oben stehen die Milchkühe, die sie vertraut begrüßen. Seitlich vom Weg haben die Stierkälber ihren Bereich. Sie werden drei bis vier Monate gefüttert, dann geschlachtet. Beim Huhn gibt es mit dem „Bruderhahn“ ein ganz eingängiges Konzept, das zeigt, wie es für Eier auch männliche Küken braucht. Bei den Stierkälbern ist es im Prinzip auch so: sie sind das Nebenprodukt der Milchwirtschaft mit weiblichen Rindern. „Selber schlachten ist auch nicht schön, aber ehrlicher als die Kälber nach Holland abzuschieben“, meint Andreas Dengel. So hat er vom Besamen bis zur Wurst alles in der Hand, kombiniert mit dem Ökosystem Alp- und Weidewirtschaft.
Tierkreiszeichen
und Natur als Richtschnur
In guter
Beziehung zu stehen, zu den Bestandteilen seines Betriebs, ist ihm wichtig. Manches
davon kann man rational beschließen. Manches davon ergibt sich aus dem
naturverbundenen Tun, welches die raue Landschaft im Voralpenland von den Menschen
fordert. Diese Art zu Denken und zu Handeln blitzt nochmal auf, als wir schon
fast am Gehen sind. Wir unterhalten uns nochmal kurz darüber, was für die
Dengels wichtig ist bei ihrer Arbeit. Das Traditionelle, was zu ihrem
Lebensraum gehört, der gute Umgang mit dem Vieh und dem Boden, und außerdem: eine
Ausrichtung nach den Tierkreiszeichen: „Wenn ich zum Beispiel einen Graben
aufmachen muss für eine Drainage oder eine Quellfassung, richte ich mich immer
nach den Zeichen.“ Gemeint sind die Tierkreiszeichen in Zusammenhang mit dem Mond.
Ob ein Graben hält, reißt oder voll Wasser läuft, sind Szenarien, die damit positiv
beeinflusst werden sollen.
Der Faktor
Landwirtschaft in den kommunalen Aufgaben
Andreas Dengel
ist damit nicht allein. „Wenn wir als Gemeinde bei Baumaßnahmen im Erdreich und
mit Grundwasser arbeiten müssen, versuchen wir so weit es geht, den
Sternzeichenstand zu berücksichtigen,“ erläutert auch Rettenbergs Bürgermeister
Nikolaus Weißinger das Vorgehen. „Es hat sich über die Jahre erwiesen, dass da
besonders bei Quellfassungen etwas dran ist. Früher haben alle Landwirte so
gedacht.“
Den Betrieb von
Anna und Andi Dengel kennt er als Gemeindeoberhaupt natürlich, denn eine kleinbäuerliche
Landwirtschaft mit Alpbewirtschaftung wie ihre ist ihm ein Anliegen. „Sie ist
der Inbegriff für unsere Kulturlandschaft. Außerdem ist die Alpwirtschaft ein
wichtiges Standbein für unsere bäuerlichen Familienbetriebe.“
Für Rettenberg am Fuß des Grüntens ist der Erhalt der offenen Kulturlandschaft mit den artenreichen Weideflächen eine wichtige Komponente. Eine andere ist ihr Zusammenhang mit den zunehmenden Starkregenfällen, denen die Gemeinde aktiv begegnen muss. Denn gepflegte alpwirtschaftliche Flächen tragen auf unterschiedliche Weise zu Hochwasser- und Murenschutz bei und können klimaschutzrelevant auch besser Wasser speichern. „Ein elementar wichtiger Beitrag“, so Weißinger.
Was kommt aufs Brotzeitbrettle?
Fotograf Daniel
Delang und ich beenden unseren Streifzug vom Lech ins Oberallgäu oben auf der Alpe Stockach bei Kaffee und einer kleinen
Brotzeit mit Blick auf den Alpenhauptkamm. Es ist bemerkenswert, wie auch wir, die wir uns nur zu unserer gemeinsamen Reportage treffen, schon in den Austausch über Ess- und
Einkaufsgewohnheiten kommen. Doch gerade hier oben auf der Alpe in 980 Metern ü.M. ist es so
eindrücklich, wie Essen und Umwelt zusammenhängen. Wer das weiß, kauft anders
ein. Wer's erleben will, hat hier die schönsten Bedingungen für eine aufschlussreiche Rast am Berg.
Kontakt
Bio-Alpe Stockach (nur im Sommer bewirtschaftet)
Ferienhof Dengel
87549 Rettenberg
Tel.: +49 160 5506946
https://www.ferienhof-dengel.de/48/alpe-stockach
Dieser Text ist Teil der Serie Streifzüge durch Schwaben. Nachdem wir bei Gemüse im Voralpenland nun beim
Vieh im Alpenraum waren, führt uns unser vierter und letzter Streifzug nun in den westlichsten
Zipfel des Freistaats, an den Bodensee. Unterwegs schauen wir uns aktuelle Ideen
zu typisch bayerischen Zugehörigkeiten an: Skifahren, Kräuter- und Weinanbau bis
gepflegter Getränkegenuss unter hohen alten Bäumen. Na, neugierig geworden?
Hier geht’s zur ganzen Reportage Streifzüge durch Schwaben von
HeimatUnternehmen.
Texte: Veronika Heilmannseder; Fotos: Daniel Delang